Sächsischer Förderpreis: Wie Zwickau demokratische Kultur in Sachsen fördert 

3. November 2025


2023 wurde der Verein Alter Gasometer in Zwickau mit dem Sächsischen Förderpreis für Demokratie ausgezeichnet. Jetzt erhält die Stadt den Kommunenpreis.

(Quelle: Helge Gerischer)

Vor einer Würdigung der viertgrößten sächsischen Stadt lohnt es sich, einen Ausschnitt aus der Begründung der Jury voranzustellen: „Zwickau macht deutlich: Eine Kommune ist nicht nur Verwaltungsakteurin, sondern kann selbst ein starker Akteur demokratischer Kultur sein – wenn die Verantwortungsträger*innen Haltungen zeigen, die Kommune selbst Strukturen aufbaut und die Zivilgesellschaft als Partnerin ernst nimmt“, schreibt der Geschäftsführer der Freudenberg Stiftung, Stefan Vogt. Um dieses Kompliment praktisch zu untersetzen und zu prüfen, muss man sich nur noch mit der Stadtverwaltung zusammensetzen.

Übereinstimmend wird man in der Verwaltung an die kompetenteste, noch recht junge Mitarbeiterin verwiesen. Isabell Reise leitet die „Stabsstelle Kommunale Prävention“ und koordiniert damit die örtliche Präventionsarbeit. Sie hat an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Soziologie, Volkskunde und Kulturgeschichte studiert. Seitdem befasst sie sich mit gesellschaftspolitischen Fragestellungen, kulturhistorischen Perspektiven und Extremismusforschung, auch mit Gleichstellung und Genderstudien. „Ich habe ein Gefühl dafür bekommen, was jetzt wichtig ist, was die Stadt für ein soziales Leben braucht“, erklärt Reise.


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Ihrer zentralen Stabsstelle steht ein kommunaler Präventionsrat unter Vorsitz der Oberbürgermeisterin Constance Arndt, über die „Bürger für Zwickau“ 2020 ins Amt gekommen, und des Polizeipräsidenten Dirk Lichtenberger zur Seite. Ihm entspricht auf der Freistaatsebene der Landespräventionsrat und schließlich die „ASSKomm“, die 2019 formierte Allianz „Sichere Sächsische Kommunen“. Sie geht dem Sicherheitsgefühl der Bürger nach, erfragt, wo sie sich besonders unsicher fühlen und warum, erfasst aber auch Bedingungen ihres Wohlbefindens. Konfliktherde befrieden, Seniorensicherheit herstellen, Sauberkeit anstreben, zählt die Stabsstellenleiterin folglich auch zu ihren Aufgaben.

Harte und weiche Faktoren für ein freundliches Stadtklima

Das klingt zunächst sehr nach Law and Order. „Es geht um das Zusammenleben generell und nicht nur um Crime“, korrigiert Frau Reise. „Wir lassen oft Phänomene außer Acht, die zu unerwünschtem Verhalten oder Straftaten führen.“ Deren Beachtung fängt nach ihrer Auffassung immer bei der Kinder- und Jugendförderung an. Ein Punkt, wo Zwickau unbestritten Lob verdient, wenn es trotz der wirtschaftsbedingten Krisenhaushalte in der Stadt und im Freistaat Sachsen 3,4 Millionen Euro im Jahr für freiwillige Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe bereitstellt.

Das Gespräch mit Isabell Reise dreht sich nur am Rande um ökonomische Probleme, nur ansatzweise um die Sicherheitslage, sondern vor allem um das Stadtklima insgesamt. „Zwickau ist keine Problemstadt“, erklärt sie, ohne Ambivalenzen in Geschichte und Gegenwart zu leugnen. Schon der Ort des Zusammentreffens mit ihr verweist darauf. Es ist das August-Horch-Automobilmuseum, 2020 Zentrum der sächsischen Landesausstellung „Boom“ zur Industriekultur. Denn Zwickau ist ein Zentrum deutschen Automobilbaus überhaupt, Horch, Audi, die Auto-Union, später Sachsenring, wo der DDR-Volkswagen „Trabant“ gebaut wurde. Im nahen VW-Werk Mosel aber, dem Zentrum der VW-Produktion von E-Autos der ID-Reihe, ruht in dieser Woche gerade die Arbeit mangels Absatz.

Dunkel war die Industrie- und Steinkohlestadt, und Witzbolde verschickten zu DDR-Zeiten Postkarten mit einem „Kohlengruß aus Zwickau“. Andererseits wurde vor genau 500 Jahren ein prächtiges Gewandhaus vollendet, heute Sitz des Theaters Plauen-Zwickau, die Stadt darf sich mit den Namen des Komponisten Robert Schumann oder des Malers Max Pechstein schmücken. Zwickau wird nun als vorbildliche Kommune ausgezeichnet, aber hier wohnten bis zum 4. November 2011 in der Frühlingsstraße auch unerkannt Beate Zschäpe und ihre beiden NSU-Terrorkomplizen.

Eine Stadt der Widersprüche, eine schrumpfende Stadt mit heute noch 87.000 Einwohnern von ehemals 122.000 im Jahre 1984, aber durch die Studierenden an der Westsächsischen Hochschule auch eine junge Stadt. Isabell Reise rechnet sie formal sogar zum ländlichen Raum, beobachtet aber subjektiv eine wachsende Zahl junger Bürger*innen oder Absolvent*innen, die bleiben wollen. Die feine kleine Altstadt, das Kulturangebot, eine reizvolle Umgebung und vor allem preisgünstiges Wohnen mögen dazu beitragen. Wie das oft verkannte, nur 25 Kilometer entfernte Chemnitz könnte auch Zwickau mit dem Kulturhauptstadtlogo „the unseen“ werben.

Der Zeit-Ungeist als Herausforderung

Aber die Stabsstellenleiterin räumt realistisch auch ein, dass hier wie überall die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss steigt, manche gar nicht schulfähig sind und so Sozialkontakte entbehren. Als soziale Stadt versucht Zwickau mit Angeboten gegenzusteuern. Die Corona-Pandemie hat bekanntlich Gruppenfähigkeit und Autonomieentwicklung zusätzlich behindert, Kontakte liefen noch mehr als zuvor über Social Media.

Stolz ist Isabell Reise auf die große Dichte der Jugend- und Freizeitangebote. Man spürt, dass sie leidenschaftlich für die Stadt arbeitet, aber sie kriecht dabei vor niemandem. Selbst ein Kind der späten 1990-er Jahre, lässt sie sich gern auf Milieus ansprechen. Zwickau verfüge über unterschiedliche Jugendszenen. Es gebe alle Stilrichtungen, verschiedene subkulturelle Orte, die mit Konzerten und Raves, Lesungen, Filmabenden oder Mitmachaktionen die vorhandene Kulturlandschaft ergänzen. Das Stadtfest bediene freilich den Geschmack einer breiteren Masse. Fernab von allen stehen auch rechtsorientierte Kulturen, aber nicht an festen Orten und Räumen. Sie vernetzten sich eher, auch über den Sport. Bei der Fanszene des FSV Zwickau, derzeit nur regionaler Fußball-Viertligist, lässt sich beobachten, dass die gesellschaftspolitischen Tendenzen vor dem Stadiontor nicht Halt machen. Der FSV und sein Fanprojekt versuchen, dem mit Kampagnen und Projekten sowie mit Vernetzung unter anderem mit der Arbeitsgemeinschaft Extremismus- und Konfliktprävention etwas entgegen zu setzen.

Gelegenheit, auch die „starke Haltung des Theaters bei der Demokratiearbeit“ zu loben. Und die gar nicht so subversive Subkultur im Alten Gasometer gleich mit. Der Verein erhielt im November 2023 einen der beiden Hauptpreise bei der Verleihung des sächsischen Förderpreises für Demokratie. Der Rundbau ist nicht nur eine Kulturstätte, sondern auch ein Zentrum für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dem Markttreiben und populären Events widmet sich hingegen die städtische Tochtergesellschaft „Kultur Z“ mit Sitz in Hauptmarktnähe.

Ein neues Innenstadtprojekt und Zusammenwirken gegen Rechts

Ähnlich nah gelegen hat in den vergangenen beiden Jahren ein ehemals leerstehender großer Laden auf der Hauptstraße 46 stark an Beachtung gewonnen. Er nennt sich Projekt 46 und geht auf Ideen der ehemaligen Stadtmanagerin Ariane Spiekermann und einer Gruppe engagierter Zwickauerinnen und Zwickauer zurück. Hinter den großen Glasfenstern wartet im Erdgeschoss ein experimenteller Freiraum, ein Ort des Ausprobierens und der Selbstverwirklichung ohne finanzielle Schranken. Der Verein befindet sich noch in Gründung. Politische Bildung, Konzerte, Filme und Lesungen laden zur Auseinandersetzung ein. „Allein der Lesekreis wäre schon preiswürdig“, schwärmt Isabell Reise. Besser könne das Verhältnis zur Stadtverwaltung kaum sein, und bei Veranstaltungen und Aktionen arbeite sie mit Projekt 46, der Aktion Zivilcourage und anderen zusammen.

Fast vergessen kann man angesichts dieser Entwicklung, dass 2018 die Ausstellung zur 900-Jahr-Feier der Stadt nach Auffassung eines „Zwickauer Demokratie Bündnisses“ einige braune Flecken der Stadtgeschichte übertünchte und das NSU-Kapitel gar nicht erwähnte. Die Stadt und namentlich die verdienstvolle Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) bestritten damals vehement solche Ausblendungen. Sie wurde attackiert, ihre Nachfolgerin Constance Arndt erhielt im Mai dieses Jahres per Mail eine Morddrohung. Nicht von einem Zwickauer, sondern von einem jungen Rechtsextremisten aus Mecklenburg-Vorpommern.

Zwickau hat ja am Schwanenteich einen von Bäumen umrahmten Gedenkort an die NSU-Verbrechen angelegt. Einer der Bäume wurde kurz darauf abgesägt. Die damalige Kanzlerin Angela Merkel besuchte später den Ort. Seither aber ist dort kein Zwischenfall mehr zu beklagen. Man bietet der Bevölkerung Veranstaltungen und Diskussionen und eine Informationsbroschüre an.

Als ein wesentlicher Vorzug Zwickaus stellt sich die breite Zusammenarbeit und Vernetzung beim Einsatz für Werte, Demokratie und eine Kultur des zivilisierten Umgangs dar. Bei der Stabsstelle gewinnt die angegliederte AG Extremismus und Konfliktprävention zunehmend an Bedeutung. Sie ist eine der fünf untergeordneten Arbeits-und Vernetzungsgruppen. Etwa 20 Vertreter*innen aus verschiedenen Fachämtern, Behörden und Institutionen der Stadt und des Landkreises sowie Zwickauer Vereine finden sich hier zusammen. Man berät präventive, aber auch repressive Strategien, etwa beim „Simson-Treffen“ mit 4000 Teilnehmenden, von denen ungefähr jeder zehnte Mopedfan der rechten Höcke-Jugend zuzuordnen ist.

Stehvermögen ist gefordert

Mit solchen Problemen aber kämpfen auch andere Städte. Isabell Reise zählt lieber Zwickauer positive Besonderheiten auf, die eine Anerkennung verdienen. Jährlich wird das interkulturelle Fest „Zwikkolör“ der Gleichstellungs-, Ausländer-, Integrations- und Frauenbeauftragten gefeiert. Das gleiche Büro veranstaltet „Kochen verbindet“ oder „Grillen verbindet“ über Herkunftsunterschiede hinweg. Über das im Moment sehr präsente Projekt 46 hinaus beteiligen sich auch Initiativen und Vereine wie „Sternendekorateure“, „Kunstplantage“, „Lichthaus“, „Roter Baum“ oder das Vereinshaus Alois im weitesten Sinn an demokratischer Bildung. Als Stadt beteiligt sich Zwickau an dem von der PHINEO gAG und die Bertelsmann Stiftung initiierten und von der Bundesmigrationsbeauftragten geförderten Programm „Weltoffene Kommune“ und an weiteren Gremien und Netzwerken in Land und Bund.

Solche Anstrengungen ersparen aber auch in Zwickau nicht die Beobachtung von Erscheinungsformen eines weltweiten Trends hin zu autoritären und faschistischen Gesellschaftsmodellen, vor dem viele kapitulieren. „Wie sollte ich diese Arbeit machen, wenn ich nicht glaubte, dass ich etwas Wirksames ausrichten kann“, hält die Stabsstellenleiterin dagegen. „Ich bin froh, dass es diese Zivilgesellschaft gibt!“ Stehvermögen aber ist gefragt, denn „Prävention ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf“.


Die Verleihung des Sächsischen Förderpreis für Demokratie findet am 6. November in Dresden statt. Hier kannst du dich anmelden.

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