Sächsischer Förderpreis: Vom Beauty-Salon zu einer schöneren Gesellschaft

6. November 2025


„Initiative für Schönes, Diversität und Dialog“ lautet der Untertitel des Projekts.

(Quelle: ©madhumitanandi)

Uneingeweihte schauten ungläubig, was sich beim Netzwerk Demokratische Kultur Wurzen NDK zur Eröffnung ihres Gartencafés im Mai abspielte. In einem Zelt auf der kleinen Wiese vor dem Haus saßen Gäste verschiedenster Nationalitäten vor Tischchen und Spiegeln und ließen sich von ebenso vielfältigen Fachkräften verschönern, frisieren oder stylen. „Wir wollen in dieser kleinen Welt darstellen, wie sie schöner funktionieren könnte. Dazu sind alle willkommen“, antwortet eine junge Venezuelanerin auf erstaunte Fragen nach Sinn und Absicht dieses unerwarteten Angebots. Anna Noriega und Jana Wieser erklären, dass sie von der Leipziger „Grand Beauty“-Initiative kommen und mit ihrer Aktion hier das NDK unterstützen wollen, dem AfD und CDU gerade in schönster Eintracht die städtischen Fördermittel streichen. Der Service habe nichts mit dem Streben nach individueller Idealschönheit zu tun, schon gar nichts mit der kommerzialisierten Anpassung an Schönheitsnormen, fügt sie noch hinzu. Man arbeite hier daran, Menschen mit ihrer inneren und äußeren Schönheit in Kontakt zu bringen.


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Im Oktober gibt es dann Gelegenheit, den Leipziger Salon von Grand Beauty zu besuchen. Der Stadtteil Grünau im Westen der Stadt verspricht zunächst wenig anrührende Schönheit. Eine halbwegs aufgelockerte typische DDR-Plattenbausiedlung, in der man städtebauliche und urbane Highlights suchen muss. Eines davon ist das Stadtteilkulturzentrum „Völkerfreundschaft“ auf der Stuttgarter Allee. Im großen Erdgeschossfoyer winken die Grand-Beauty-Räume.

Die Ausstattung erinnert tatsächlich an einen Schönheitssalon oder die Maske im Theater. Man entdeckt Plätze für alle denkbaren Behandlungen. Gesichtspflege, Massage, Augenbrauen-Modellierung, Frisur und Feinsthaarentfernung im Gesicht, Styling oder Nail-Design. Make-Up-Kreationen von natürlich bis sehr expressiv sind möglich, überhaupt Experimente aller Art. Temporäre Tattoos für feierliche Anlässe kann man mit Henna auftragen lassen, eine Tradition in Ländern von Afghanistan bis Marokko.

Man kann sich aber auch einfach nur zum Reden hinsetzen oder sich beraten lassen. Wird der Platz knapp, können Besucher auch ins Foyer ausweichen. Dort sprechen Teammitglieder manchmal Passant*innen an und laden sie spontan ein.

Geburt einer Idee in Augsburg

In Grünau sitzt die Initiative des gemeinnützigen Interventionsbüros e.V. seit 2022, in der „Völkerfreundschaft“ erst seit dem Vorjahr. Um mehr über Idee, Anfänge und Philosophie von Grand Beauty zu erfahren, muss man eigentlich nur das gelbe Workbook mit dem Titel „GRAND BEAUTY – Vision einer schöneren Gesellschaft – Do it yourself“ lesen, das die Künstlerin und Ideengeberin dem Besucher in die Hand drückt.

Frauke Frech hat es verfasst. Das Buch enthält neben Konzept und Geschichte, Einblicke in die transkulturelle Teamarbeit und Formatgestaltung, gibt Auskunft über Wirkung und Anregungen zum eigenen Handeln. Es soll Interessierte anregen, eigene Projekte aus neuen Blickwinkeln zu denken oder eigene, lokale Grand-Beauty-Initiativen zu starten.

„Wir können das Gespräch gern auf Sächsisch führen“, kontert die 1982 in Leipzig geborene Performance-Künstlerin und tritt der Annahme entgegen, sie komme aus Augsburg. Ihr Studium absolvierte sie an der Muthesius-Kunsthochschule Kiel und an der Haute Ecole d´Art et Design in Genf. Ihre Arbeiten zeigten in Sachsen das Dresdner Hygiene-Museum und das Grassi-Museum Leipzig, außerhalb beispielsweise das Folkwang Museum Essen, die Sophiensaele Berlin, das Goethe-Institut Bangalore und Prag oder die Münchner Kammerspiele.

Offenbar genügte der Künstlerin aber eine art pour l`art nicht. Frauke Frech berichtet von künstlerischer Forschung mitten in der Gesellschaft. Sie verweist auf die Inspiration durch Joseph Beuys` Vorstellungen von einer Sozialen Plastik. Im Grandhotel Cosmopolis Augsburg – einem Labor für die diverse Stadtgesellschaft, Unterkunft für Geflüchtete, Hotel, Veranstaltungsort mit Künstler*innenateliers und Residenzen, konnte sie 2014 erste Erfahrungen damit sammeln. „Wie kann Kunst Gesellschaft sinnvoll mitgestalten?“, lautet eine ihrer zentralen Fragen, die sie bis heute bewegt. Dieser Ansatz berührt ihrer Ansicht nach Alltagsgeschehen, Beziehungsarbeit und eine Positionierung nach außen gleichermaßen. Menschen sollen ihre Fähigkeiten und schöpferischen Potenziale für eine lebendige und gesunde Gesellschaft einbringen können.

Augsburg war dafür eine Lernumgebung und ein Experimentierfeld. Eine Stadt, die in Wirtschaftswunderzeiten nach dem Zweiten Weltkrieg überdurchschnittlich viele Gastarbeiter*innen anzog und die 2014 noch den zweithöchsten Migrant*innenanteil unter bundesdeutschen Städten aufwies. Diese vielfältige Stadtgesellschaft, die sich herausgebildet hatte, wollte die Künstlerin kennen- und deren Modi der Integration besser verstehen lernen.

Rückkehr in das einst aufbruchsgestimmte Leipzig

Es ging ihr darum, „etwas zu bewegen“, speziell für und mit Migrant*innen, die durch fehlende Arbeitserlaubnisse und unsichere Aufenthaltsverhältnisse zur Untätigkeit verdammt waren. Der Grand Beauty Salon wurde ins Leben gerufen, um gemeinsam auch ohne Arbeitserlaubnis aktiv werden zu können und öffentlich zu zeigen: Alle diese Menschen leben hier und haben der Gesellschaft etwas zu geben.

„Der Wunsch in meiner Heimat etwas zu bewegen, hat mich 2018 nach Leipzig zurückgeführt.“ Mit der Idee Grand Beauty nach Sachsen zu bringen, war nicht der Rückgriff auf die fragwürdige Staatsfürsorge verbunden, wohl aber die Schaffung von Schutzräumen, von Wohlfühl- und Selbstentdeckungsarealen. „Welche Räume brauchen wir, wo Dinge stattfinden können, die sonst zu kurz kommen in unserer turbokapitalistischen Welt?“, fragt Frauke Frech. Im Kleinen könnten sich alle Menschen in dieser Gesellschaft begegnen und eine gute Zeit miteinander haben, aber auch lernen Konfliktthemen anzusprechen und Differenzen auszutragen. „In diesem Mikrokosmos kann kompensiert werden, was der Staat nicht schafft“, bemerkt sie.

Menschen im Salon abholen und empowern

Ästhetik erscheint als Mittel zum guten Zweck, die individuelle Schönheitspflege zum Paradigma, ja zu einer Art Sauerteig für eine verhärtete Gesellschaft. Wenn Beuys` erweiterter Kunstbegriff die Basis der Beauty-Ideen ist, dann gelange man auch bald zu einem erweiterten Schönheitsbegriff, heißt es im Gespräch. Der Untertitel „Initiative für Schönes, Diversität und Dialog“, die Werte von Akzeptanz und Dialogbereitschaft ergeben sich daraus. Solche Fürsorgebedürfnisse hätten alle, sagt Frech, „aber man kann Menschen nicht nur beim Kochen oder in der Nähwerkstatt abholen“. Und das „Material“ dieser Kunst seien eben Menschen und Beziehungen. Es kann eine Frau beispielsweise sehr empowern, wenn sie mit Schönheitspraktiken Verhüllungsgeboten oder anderen Einschränkungen trotzen kann.

Ibtissam Zaher, Sharifah Rasoli, Hengame Sadeghi, Iryna Krokovna, Miguel Caro, Ysora Unda, Nathaly Matute, Belgica Rangel, Lö Eckhoff, Angela Vega, Alina Rahmani, Zhila Tajik, William Pena, Nora Ueberhorst, Janna Bräger, Lorena Millan, Eva Geckeler, Anna Noriega — Das Kollegium bilden zahlreiche Schönheitsexpert*innen aus Afghanistan, Venezuela, der Ukraine, Libyen, dem Iran, Kolumbien, Südkorea, Peru und Deutschland. Es sind überwiegend Profis, weniger Autodidakten.

Das Team des Grand Beauty Salon (Quelle: Jonas-Ludwig-Walter)

Das Team versteht sich als Gastgeber, das den Begegnungs- und Lernraum gemeinsam gestaltet. Es gibt neben den regulären Öffnungszeiten Sonderveranstaltungen mit Kooperationspartner*innen und Workshops zu Selbstfürsorge, female Empowerment, Beauty Mainstream und Medienbildung für verschiedene Zielgruppen. So läuft es in der Praxis, entweder in der „Völkerfreundschaft“ Grünau oder bei „aufsuchenden Aktivitäten“ wie Pop-up-Salons in kleineren Orten wie Wurzen und im ganzen Bundesgebiet. Transkulturalität und Mehrsprachigkeit bestimmen die Gruppenarbeit und fordern alle heraus, sich geduldig und zugewandt aufeinander einzulassen.

Mehrwert der Schönheit – Empathie und Solidarität statt Angstklima

„Hier gibt es keine Klient*innen und keine Dienstleistungen wie in sonstigen Schönheitssalons!“ Es geht um Austausch und darum, als Gast selbst etwas zurückzugeben, „Beauty Exchange“ genannt. Darin verwischen die Rollen zwischen Gebenden und Empfangenden, wenn beim Aufräumen und Abwaschen mitgeholfen wird oder sich Sprachtandems bilden.

Das erforderliche Geld für die Aktivitäten kommt hauptsächlich über Förderungen. Bislang wurde die Initiative durch die Robert Bosch Stiftung, die GLS Treuhand und die Schweizer Drosos-Stiftung finanziert. Aber gerade die Förderung als Modellprojekt „Ort der Demokratie“ erweist sich als wichtiges Signal des sächsischen Freistaates, die Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Demokratieförderung im Blick zu haben und zu behalten. Es gelte, von der öffentlichen Hand und damit von politischen Kurswechseln unabhängiger zu werden, erkennt Frauke Frech.

„Letztlich bleibt Gemeinschaft das Ziel!“ Insofern geht der Peter-Henkenborg-Preis 2025 an die richtigen Adressat*innen. Der 1955 geborene Politikdidaktiker betonte stets die Wichtigkeit direkter Erfahrungen mit demokratischer Lebenskultur und einer damit verbundenen Kultur der Anerkennung. So zum Gesprächsende noch einmal auf das Schlagwort Empathie und den separierenden Zeitgeist angesprochen, empört sich die sonst klar und gefasst wirkende Künstlerin überraschend. „Wir wollen doch nicht wie Geister auf der Straße herumrennen und Angst voreinander haben! Das steuert in die falsche Richtung!“ Das zu ändern, sollte sich jeder angesprochen und aufgerufen fühlen.


Die Verleihung des Sächsischen Förderpreis für Demokratie findet am 6. November in Dresden statt. Hier kannst du dich anmelden.

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