15. September 2025
Mord an Charlie Kirk: Patronenhülsen mit Memes und Furry-Witzen
(Quelle: Screenshot)
Am 10. September wurde der US-Rechtsextreme Charlie Kirk während eines Auftritts an der Utah Valley University erschossen. Noch bevor die Ermittlungen erste Ergebnisse lieferten, versuchten MAGA-Anhängerinnen, die Tat den Linken anzulasten. Doch Hinweise deuten inzwischen darauf hin, dass der mutmaßliche Täter selbst aus einer extrem rechten digitalen Subkultur stammt.
Der mutmaßliche Täter
Der mutmaßliche Täter, Tyler R., wuchs in einem konservativen Mormonen-Haushalt in St. George, Utah, auf. Seine Eltern sind als Republikaner registriert, die Familie gilt als Trump-loyal, wie die Großmutter erzählt. Fotos zeigen ihn auf Familienausflügen, mitunter auch bewaffnet. Am Mittwoch erschoss er den Familienvater Kirk aus rund 180 Metern Entfernung mit einem Schuss in den Hals.
Kirk war eine zentrale Figur in der MAGA-Bewegung um ihren Anführer Donald Trump. Der rechtsextreme Aktivist tourte mit seiner Organisation „Turning Point USA“ (TPUSA) durch die USA, um vor allem junge Männer weiter für die rechtsextremen Ideale der Trump-Republikaner zu gewinnen.
Trump gibt der ‚radikalen Linken‘ die Schuld am Mord an Charlie Kirk
Noch in der Nacht nach dem Mord beschuldigte Donald Trump die ,radikale Linke‘. MAGA-Anhänger*innen und auch deutsche Rechtsextreme überschlagen sich mit Behauptungen, der Täter sei ein Linker und „woke“-Ideologie sei Schuld an diesem politischen Mord. Doch mittlerweile verdichten sich die Hinweise, dass er selbst einer rechtsextremen Ideologie anhängt.
Memes auf Patronenhülsen
Am Freitag gab der Gouverneur von Utah, Spencer Cox, auf einer Pressekonferenz bekannt, den Tatverdächtigen Tyler gefasst zu haben. Außerdem berichtete er von Gravuren auf nicht abgefeuerten Patronenhülsen, die der mutmaßliche Mörder am Tatort liegen ließ.
Zunächst sah die US-Rechte darin den Beleg, für eine linke Ideologie des Täters. Doch die vermeintlichen politischen Parolen entpuppen sich bei näherem Hinsehen vor allem als Anspielungen auf Internet-Memes und Videospiele. So tauchten unter den Gravuren etwa ein Verweis auf den Shooter Helldivers 2, die antifaschistische Hymne Bella Ciao sowie ein Zitat aus der Online-Subkultur der Furry-Szene auf. Eine weitere Hülse trug den Spruch „If you read this you are gay LMAO“, eine gängige Internet-Beleidigung.
„Solche Memes, Beleidigungen und codierte Sprache sind ein Markenzeichen vieler Online-Communities, hauptsächlich im Gaming“, sagt Matthias Heider, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IDZ Jena, der zu Rechtsextremismus im Gaming forscht, gegenüber Belltower.News. „Sie sind oft so gestaltet, dass sie nur von Menschen verstanden wird, die selbst Teil dieser Gruppen sind.“
“Hey Fascist! Catch! ↑ → ↓ ↓ ↓”
Die Gravur “Hey Fascist! Catch!“(“Hey Faschist! Fang”) ergänzt durch Pfeilzeichen/Tastenkombination (↑ → ↓ ↓ ↓), war für die US-Rechte, der zentrale Beweis, dass der Täter Antifaschist sei, da es wie eine politische Erklärung klingt.
Wahrscheinlich ist es allerdings eine Anspielung auf das Videospiel „Helldivers 2“, in dem die Spielenden selbst Krieger*innen einer militaristischen, autoritären Parodie-Diktatur werden. Dort ruft die Tastenkombination ⬆️ ➡️ ⬇️ ⬇️ ⬇️ den Abwurf einer überdimensionalen 500-Kilo-Bombe hervor, ein Manöver, das in der Community zum Meme geworden ist, weil es alles im Umkreis vernichtet, auch die eigenen Mitspieler*innen.

„Helldivers 2“ sei eigentlich eine Parodie und ein satirischer Blick auf Ultramilitarismus und die Propaganda faschistischer Systeme, erklärt Gaming-Experte Heider. „Das Spiel umgibt eine lebhafte Meme-Kultur, die nicht selten Überschneidungen mit rassistischen und nationalistischen Gruppierungen aufweist.“ Manche Personen sehen die Ebene der Satire nicht und verstehen das Spiel als Zuspruch für die faschistischen Darstellungen, oder reproduzieren die Bildsprache und Äußerungen in diese Richtung unkritisch. Aber wie so oft ist es hier auch nur ein Teil der Community.
Die Inschrift auf der Patrone wirkt damit weniger wie ein klares ideologisches Bekenntnis, sondern vielmehr wie ein Beispiel für den „Edgelord-Humor“ aus Internetkulturen, bei dem ironische Insider-Referenzen gezielt eingesetzt werden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.
„Bella Ciao“
Eine weitere Hülse war mit dem Schriftzug „Bella Ciao“ beschrieben, ein italienisches Partisanenlied aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, das in vielen Ländern bis heute als antifaschistische Hymne gilt. Auch hier meinte die internationale rechtsextreme Szene, einen Beleg für ein antifaschistisches Motiv zu sehen. Besonders durch die Netflix-Serie „Haus des Geldes“ oder durch das Videospiel „Far Cry 6“ hat das Lied in den vergangenen Jahren eine neue Popularität erfahren.
Im Game „Far Cry 6“ wird die Hymne mit explizitem Verweis auf den Widerstand gegen Diktaturen inszeniert. Auch hier deutet vieles darauf hin, dass die Gravur weniger eine eindeutige politische Position transportiert, sondern Teil eines Patchworks aus popkulturellen Anspielungen ist, die auf Patronen geritzt wurden, um Aufmerksamkeit und Interpretationsspielräume zu erzeugen.
„Notices bulges, OwO what’s this“
Auf einer weiteren Hülse war der Satz „Notices bulges, OwO what’s this“ eingeritzt – eine Anspielung auf ein Meme mit Bezug zur sogenannten Furry-Community. Die Furry-Szene ist eine Subkultur, in der sich die Mitglieder für Tiere mit menschlichem Antlitz interessieren.

Jenes Meme kursiert laut der Website “Know your Meme” seit etwa 2015 im Netz. Das gezeichnete Meme zeigt zwei erwachsene Männer in Tierkostümen, Furries. Der eine schreibt dem anderen: „kuschelt sich an dich zurück und springt auf dich und bemerkt deine Beule ‚OwO what’s this…?‘“ Im Kontext des Memes bezieht sich „bulge“ auf eine „Beule“ in der Hose des Mannes.

„OwO“ ist dabei ein Emoji, das kindlich-überraschte Freude ausdrücken soll, und wurde vor allem in Nischenforen zum Symbol einer ironisch überzeichneten, sexualisierten Rollenspielsprache. Dass ein solcher Insider-Scherz seinen Weg auf eine Patronenhülse fand, zeigt, wie stark sich der mutmaßliche Täter aus den Tiefen der Internetkultur bediente. Anstatt einer klaren Botschaft bleibt auch hier vor allem der Versuch erkennbar, durch die bizarre Kombination von Gewalt und Nonsens-Memes Aufmerksamkeit und Verwirrung zu stiften, schlicht zu trollen.
„If you read this you are gay LMAO“
Eine weitere Gravur lautete „If you read this you are gay LMAO“ („Wer das liest, ist schwul, ICH LACHE MIR MEINEN ARSCH AB”). Ein Satz, der weder eine tiefere Bedeutung noch einen eindeutigen kulturellen Ursprung hat. Vielmehr handelt es sich um eine gängige Form von Online-Spott, die seit Jahren in Internetforen, Gaming-Chats und Meme-Kulturen kursiert. Der Spruch ist typisch für den sogenannten „Edgelord-Humor“: bewusst kindisch, provokant und darauf ausgelegt, andere zu reizen, ohne dabei eine klare Haltung erkennen zu lassen. Dass auch dieser Satz auf einer Patronenhülse auftauchte, unterstreicht den Eindruck, dass der mutmaßliche Täter vor allem aus der Logik permanenter Online-Ironie heraus agierte. Vielleicht genau für den Moment der Pressekonferenz geschrieben, in dem er laut vorgelesen wurde.
Diese Botschaften, die der mutmaßliche Täter am Tatort hinterließ, sind offenbar keine antifaschistischen Bekenntnisse, sondern vielmehr ein Beleg dafür, dass dieser junge Mann sehr viel Zeit in Online-Communitys verbracht hat. „Die Komplexität solcher Internetphänomene macht es für Polizei und Zivilgesellschaft unabdingbar, sich mit diesen Phänomenen auseinanderzusetzen“, so Heider. Ein kontinuierlicher und stetiger Wissenstransfer zwischen, Forschung, Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden ist dafür unerlässlich.
Foto zeigt Groyper-Halloween-Kostüm
Weiterhin gibt es Hinweise, dass der mutmaßliche Täter Tyler R. selbst Teil der extremen Rechten war, nämlich Teil der sogenannten Groyper-Armee, um den Anführer Nick Fuentes. Darauf deutet zumindest ein Foto von Tyler von 2018 hin, das zeigt, wie er sich 2018 zu Halloween als Groyper-Meme verkleidete.

Nick Fuentes
MAGA, Make America Great Again, ist keine homogene Bewegung, wie man vielleicht denken mag. In ihr gibt es viele verschiedene Strömungen, und eben eine davon sind die Groypers, eine faschistische Strömung, mit sektenhaften Zügen um ihren Anführer Fuentes. Für diesen Neonazi ist die Republikanische Partei, selbst unter Donald Trump, noch zu liberal.
Der 27-jährige Nick Fuentes gilt als einer der radikalsten Vertreter der US-Alt-Right. Der bekennende Antisemit inszeniert sich ironisch und trollhaft. Mit den Groypers versammelt er eine junge faschistische Gefolgschaft um sich. In Kirk sah Fuentes seinen wichtigsten Gegner, denn Kirk sei zu moderat, zu wenig radikal und zu Israel-freundlich. Seit 2019 führten Fuentes’ Anhänger die sogenannten ‚Groyper Wars‘, indem sie Kirk-Veranstaltungen gezielt störten und mit codierten Hassfragen trollten.
Das war der Beginn des „Groyper War“. Groyper ist ein Meme, das in Anlehnung an Pepe the Frog entstand. Es zeigt einen schwabbeligen grünen Frosch, der sein Kinn auf seine verschränkten Hände stützt. Junge Neonazis, die viel Zeit in sozialen Netzwerken und Foren verbringen, bezeichnen sich seiter selber als Groyper und so nennt auch Fuentes seine Anhänger und seine Bewegung.
Gamifizierung von rechtem Terror
Noch sind die Ermittlungen nicht abgeschlossen. Doch der Fall zeigt, wie rechte Meme-Subkulturen Gewalt und Terror mit Troll-Ästhetik aufladen. Was nach Nonsens aussieht, ist Teil einer gefährlichen Gamifizierung rechten Terrors und muss als solcher ernst genommen werden. Bereits seit einigen Jahren sprechen Expert*innen von einer Gamification, Gamifizierung rechen Terrors:
Was wir in digitalen rechtsterroristischen Communitys sehen, ist eine neue Form des rechten Terrorismus, der nicht mehr viel mit klassischen Neonazi-Zellen gemein hat. Die Forderungen der Täter sind nicht auf regionale Besonderheiten ausgelegt, vielmehr geht es ihnen darum, Angst und Chaos auszulösen. Mit ihrem Wunsch nach Anerkennung richten sie sich an die eigene Szene.
Der Wunsch, Chaos zu stiften, firmiert unter der Bezeichnung Akzelerationismus: Durch Gewalttaten, soll Chaos entstehen, das zu einem Bürgerkrieg führt. Ein Krieg, den „die weiße Rasse“ gewinnt. Am Ende, so eine der gängigsten Vorstellungen, soll ein weißer Ethno-Staat stehen, eine Diktatur.
Der Mord an Charlie Kirk zeigt, wie eng digitale Meme-Kulturen und rechte Gewalt inzwischen miteinander verflochten sind. Wo einst ironische Sprüche, Gaming-Insider und absurde Internetwitze kursierten, wird heute tödlicher Terror codiert. Die Gravuren auf den Patronenhülsen sind offenbar keine linken Bekenntnise, sondern Ausdruck einer Subkultur, die Gewalt ästhetisiert, normalisiert und gamifiziert. „Die Komplexität solcher Internetphänomene macht es für Polizei und Zivilgesellschaft unabdingbar, sich mit diesen Phänomenen auseinanderzusetzen. Ein kontinuierlicher und stetiger Wissenstransfer zwischen, Forschung, Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden ist dafür unerlässlich“, so Gaming-Experte Heider. Wer diese Phänomene weiter als harmlosen „Online-Humor“ abtut, verkennt ihre reale Gefahr – und unterschätzt, wie stark rechte Bewegungen digitale Räume nutzen, um Hass und Terror vorzubereiten.