Aktionswochen gegen Antisemitismus: So werden Projekte der Amadeu Antonio Stiftung von Rechtsaußen angegriffen

11. November 2025


Dr. Nikolas Lelle leitet die Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung. Foto: Noah Cohen

(Quelle: Noah Cohen)

Ein Gespräch mit Dr. Nikolas Lelle, Leiter der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung, über eine Kampagne von Rechtsaußen, Gegenwind bei der Antisemitismusbekämpfung und die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Engagements.


Nikolas Lelle leitet seit 2020 die Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus bei der Amadeu Antonio Stiftung. Er beschäftigt sich vornehmlich mit Antisemitismuskritik, Erinnerungskultur und Gesellschaftstheorie. Er hat in Frankfurt am Main und Mainz Philosophie und Soziologie studiert und an der HU Berlin promoviert. Zuletzt erschien von Lelle „,Arbeit macht frei’. Annäherungen an eine NS-Devise“. 2026 kommt „Antisemitismus definieren. Eine Anleitung zum Abgrenzen“ zusammen mit Tom Uhlig.


Belltower.News: Immer mehr Desinformation, Antisemitismus in allen politischen Lagern: Unter welchen Eindrücken finden die Aktionswochen im Herbst 2025 statt? Was ist der aktuelle Stand in Sachen Antisemitismus in Deutschland?
Nikolas Lelle: Wir haben die Aktionswochen gegen Antisemitismus dieses Jahr am 7. Oktober eröffnet. Das heißt, genau zwei Jahre nach dem islamistischen Massaker der Hamas in Israel. Man hat an diesem Jahrestag einerseits gespürt, dass zwei Jahre antisemitische und antiisraelische Mobilisierung in Deutschland verheerende Folgen hatten: Im öffentlichen Raum sieht man sehr viele antisemitische Graffitis, an den Hochschulen findet man israelfeindliche Flyer, Schmierereien und aggressiven Aktivismus, Jüdinnen und Juden mussten sich in die Unsichtbarkeit zurückziehen. Und antisemitismuskritisches Engagement findet oft nur noch unter großen Sicherheitsrisiken statt.

Gleichzeitig sind wenige Tage nach der Eröffnung der Aktionswochen die israelischen Geiseln freigekommen, die noch in Gaza und am Leben waren. Es gab einen Waffenstillstand. Das heißt, es war auch eine Zeit, die Hoffnung gemacht hat. Seitdem kann man ein bisschen Aufatmen spüren.

Die Aktionswochen 2025 vereinen beides. Sie fokussieren sich auf die antisemitische Mobilisierung da draußen, erklären, warum diese so gut funktioniert, und geben gleichzeitig Hoffnung. Denn sie zeigen, dass es durchaus auch sehr viele Leute in Deutschland gibt, die etwas gegen Antisemitismus tun wollen. Die Aktionswochen sind der größte zivilgesellschaftliche Zusammenschluss, um genau denen ein Dach zu geben.

Nun geraten die Aktionswochen selbst ins Visier. Was passiert da genau?
Wir erleben, dass rechtsalternative und zum Teil rechtsextreme Kampagnenportale immer wirkmächtiger werden, und die Aktionswochen geraten dabei auch unter die Räder. Nius oder Apollo News blasen seit etlichen Wochen, wenn nicht seit Monaten, aktiv gegen die demokratische Zivilgesellschaft. Das Ziel ist, Engagement für eine offene Gesellschaft in ein fragwürdiges Licht zu rücken, es dann zu diffamieren und letztlich zu attackieren. Die Amadeu Antonio Stiftung war dabei immer im Blickfeld. Im Rahmen der aktuellen Kampagnen gegen die Stiftung geraten jetzt aber auch die Aktionswochen gegen Antisemitismus unter Beschuss von Rechtsaußen. Die Kampagne diskreditiert die Arbeit der Stiftung. Das Ziel: die Förderung von staatlichen Geldern in Frage stellen.

Bemerkenswert ist das auch deswegen, weil es sich um Leute handelt, die angeblich etwas gegen Antisemitismus und Judenhass tun wollen?
Genau. Und man muss ja sehen: Die Aktionswochen sind ein gemeinsames Projekt der Amadeu Antonio Stiftung und des Anne Frank Zentrums, und das seit zehn Jahren. Sie vereinen auch das Engagement von sehr vielen jüdischen Gemeinden, Vereinen und Organisationen. Allein 2025 haben die Gemeinden aus Baden-Baden, Saarbrücken, Flensburg und Freiburg mitgemacht. Sie konnten ihr antisemitismuskritisches Engagement vor Ort realisieren, weil sie mit uns kooperiert und gemeinsam Veranstaltungen und Konzerte auf die Beine gestellt haben.

In der Kampagne wird ein anderes Bild der Amadeu Antonio Stiftung gezeichnet.
Ein falsches! Es wird geraunt, es handele sich um ein „linksextremes Netzwerk“. Das ist gefährlicher Unfug, wie man an den Aktionswochen gut sehen kann. Aber es schafft eine eigentlich interessante Irritation. Wir stellen ja gerade seit dem 7. Oktober fest, dass in vielen linken Kreisen Antisemitismus und Antizionismus als eine Art politischer, kultureller Code in Mode gekommen ist. Angesichts dessen freuen wir uns über Initiativen aus einem eher linken Milieu, die sich gegen Antisemitismus engagieren, die gemeinsam mit bürgerlichen oder konservativen Menschen dem Judenhass in diesem Land etwas entgegensetzen. Auch den in ihrem Milieu.

Ist denn diese Kampagne erfolgreich? Fallen konservative Politiker*innen darauf rein?
Noch sehe ich das nicht. Das sind Angriffe von Rechtsaußen, und die muss man auch genau so bezeichnen. Ähnlich wie man Anträge der AfD grundsätzlich ablehnen muss, weil sie von einer rechtsextremen Partei kommen, würde ich mit diesen rechtsalternativen Portalen und ihren Kampagnen verfahren: Allein, weil es aus dieser Richtung kommt, sollte man es nicht allzu ernst nehmen. Es sind ja gerade diejenigen, die sonst lautstark behaupten, sie stünden an der Seite Israels, die hier die Antisemitismusbekämpfung erschweren.

Ob diese Kampagne verfängt, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Konservative Politiker*innen sind in der Pflicht zu zeigen, dass sie sich von diesem Druck von Rechtsaußen nicht beeinflussen lassen. Zuletzt gab es in dieser Frage auch hoffnungsvolle Signale.

Was sind denn die Aktionswochen gegen Antisemitismus und wo kommt die Idee dafür her?
Die Aktionswochen sind ein bewährtes Projekt mit einer langen Geschichte. Die Amadeu Antonio Stiftung wurde 1998 gegründet. Im Ausgang der Baseballschlägerjahre waren zwar Rechtsextremismus und Rassismus Themen, aber die Stiftung stellte fest, dass über den Antisemitismus dieser Rechtsextremen wenig nachgedacht wurde. 2003 organisierte die Stiftung das erste große Vernetzungstreffen mit lokalen Initiativen, jüdischen Gemeinden und bundesweiten Organisationen. Das Ergebnis war eine gemeinsame Entscheidung, die bis heute trägt: Rund um den 9. November wird eine koordinierte, bundesweite Veranstaltungsreihe auf die Beine gestellt, die den Blick auf den Antisemitismus heute richtet. Das waren die ersten Aktionswochen. Zum damaligen Hintergrund gehörten auch die Terroranschläge des 11. September 2001 und die antisemitischen Mobilisierungen, die seitdem auf deutschen Straßen stattfanden.


+ + + Hintergrund: Das ist der Einfluss von 9/11 auf Verschwörungserzählungen +++


Seitdem finden bundesweit Veranstaltungen im Rahmen der Aktionswochen statt – mittlerweile nicht nur rund um den 9. November, sondern jetzt auch um den 7. Oktober, dem Jahrestag des Massakers in Israel, und den 9. Oktober, den Jahrestag des Anschlags in Halle. Seit fast zehn Jahren wird das Projekt aus Bundesmitteln gefördert und ist eine Kooperation von Amadeu Antonio Stiftung und Anne Frank Zentrum. Und wir tun ja noch viel mehr: Wir schreiben zivilgesellschaftliche Lagebilder zu Antisemitismus, veröffentlichen Faltblätter wie das neueste zur Frage wie man Antisemitismus definieren kann, halten Vorträge, geben Workshops und veröffentlichen jedes Jahr eine Plakatkampagne, die über aktuelle Formen des Antisemitismus aufklärt.

Wie hat sich das bis heute entwickelt?
Die Aktionswochen sind heute größer denn je: Über 200 Veranstaltungen fanden 2025 in 60 Städten statt. Die Plakatkampagne rückte dieses Jahr das Engagement gegen Antisemitismus ins Blickfeld und betont: Wir können alle etwas tun. Sich gegen Antisemitismus zu engagieren ist gar nicht so schwierig. Diese Plakatkampagne, gerichtet gegen Schmierereien an den Wänden, gegen Hass und Hetze im Internet, aber auch gegen Anfeindungen im Bus oder auf der Straße, hing an über 1000 Standorten in 36 Städten. Unser Trailer lief bundesweit in Kinos.

Es steht also viel auf dem Spiel?
Das alles ist ohne Förderung nicht möglich. Unsere Rolle, also die des Anne Frank Zentrums und der Amadeu Antonio Stiftung, besteht darin, Bildungsmaterialien zu entwerfen, Workshops zu geben, die Kampagne zu organisieren, aber eben auch zu koordinieren und Kooperationen zu vermitteln, damit diese bundesweite Veranstaltungsreihe stattfinden kann. Ohne Fördermittel des Bundes wäre das nicht mehr möglich. Es wäre an sehr vielen Orten das Ende der Aktionswochen. Und es würde bedeuten, dass zahlreiche antisemitismuskritische Initiativen und Akteure, auch viele jüdische, ihre Arbeit nicht mehr verrichten könnten wie bisher.

Gibt es konkrete Beispiele von Veranstaltungen der Aktionswochen, die zeigen, was da eigentlich gerade attackiert wird?
Das Besondere ist die Vielfältigkeit. Wir vereinen ganz verschiedene Formate. In Flensburg klärt die Jüdische Gemeinde in einem Vortrag über die jüdische Geschichte der Stadt auf. In Baden-Baden organisierte die Israelitische Kultusgemeinde ein Konzert gegen Antisemitismus. An der HU Berlin fand eine Führung zur Geschichte des Antisemitismus an der Uni statt. Wir haben jüdisches Puppentheater für Kinder und Jugendliche im Programm, Theaterstücke, Konzerte, kleine Festivals, Stolpersteinverlegungen, Vorträge und Workshops. Was ich sagen will: Die Formate sind vielfältig und beantworten lokale Fragen. Genau dort, wo vor Ort der Schuh drückt, wo es brennt, wo interveniert werden muss oder wo eine Leerstelle erkannt wird – all das bearbeiten die Aktionswochen.

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