„Seitenwechsel“ in Halle: Ein Besuch auf der rechten Buchmesse

10. November 2025


Vor der Buchmesse demonstrieren Aktivist*innen.

(Quelle: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow)

Es ist kalt an diesem Morgen in Halle. Kalt und grau und zumindest hier am Stadtrand auch ausgesprochen trostlos. Rund einhundert Menschen steigen um kurz vor halb zehn aus der S-Bahn Richtung Wurzen und bewegen sich ohne große Eile im Gänsemarsch in Richtung eines schmucklosen Funktionsbaus, der stark an eine Lagerhalle erinnert.

Doch es ist keine Lagerhalle. Es ist das kleine Messegelände der Halle Messe, und genau dort soll an diesem Wochenende die Buchmesse „Seitenwechsel“ stattfinden. Einlass ist um zehn Uhr. Für die Menschen aus dem Zug – die meisten von ihnen bereits im vorgerückten Alter – heißt es also warten und versuchen, sich warmzuhalten. Zwei ältere Herren, die sich offenbar erst in der Bahn kennengelernt haben, diskutieren über die Vergehen von Angela Merkel.

Als sich die Türen dann endlich öffnen, ist die Freude bei den meisten nur von kurzer Dauer. Alle Jacken, Rucksäcke und Taschen müssen an der Garderobe abgegeben werden. Und auch wenn die Handvoll Mitarbeiter*innen sich alle Mühe gibt, bis alle der inzwischen rund zweihundert Besucher*innen versorgt sind, dauert es dann doch eine Weile. Junge Männer in der drängelnden Menge witzeln darüber, dass heute sicher auch „Antifajournalisten“ anwesend sein werden.

Überhaupt, „die Antifa“ ist auffallend präsent in den Gesprächen. Eine Frau ist froh, dass die Polizei die Messe beschützt. Ein älterer Mann redet von Molotowcocktails. Dabei ist der einzige Protest in Sichtweite eher spärlich besucht und lässt das Publikum der Messe kommentarlos vorbeiziehen. Es ist halt für alle noch früh heute morgen.

Rechtsaußen Schaulauf

Um 10:30 Uhr beginnt dann das offizielle Programm. Auf der großen Bühne in der einzigen Halle begrüßt die Veranstalterin Susanne Dagen das Publikum. „Der Anfang ist gemacht“, sagt sie. „Die Buchmesse konnte nicht verhindert werden.“ Ihr besonderer Dank gilt den Aussteller*innen, die „ein großes Wagnis eingegangen“ seien mit ihrer Teilnahme.

Erster Redner des Tages ist dann der „Münchner Querdenker-Professor“ (taz) Michael Meyen, der einen Vortrag über den „Staatsfunk“ hält. Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk werde von „der Macht“ kontrolliert, erklärt Meyen und breitet dann das gesamte Portfolio der Verschwörungsvorstellungen von der Bilderberg-Konferenz bis zum Council on Foreign Relations aus. Vom Publikum gibt es dafür zustimmendes Nicken und Applaus.

Die Halle ist inzwischen sehr gut gefüllt. Auch die letzten Aussteller*innen trudeln ein. Es ist eine durchaus bizarre Mischung, die sich hier zusammengefunden hat. Die wichtigsten rechten Printmedien von Compact Magazin bis Junge Freiheit sind vertreten, neben Kleinstprojekten, wie dem Antiquariat Zeitenstrom aus Chemnitz. Letzteres wird von Heinrich Mahling betrieben, einem ehemaligen Kader der Identitären Bewegung (IB) in Hessen, und hat seinen Sitz an derselben Adresse wie das „Zentrum“ der IB in Chemnitz.

Überhaupt ist die Identitäre Bewegung samt Umfeld sehr präsent auf der Messe. Gleich am Eingang und gegenüber von Götz Kubitscheks Verlag Antaios stehen mit Jungeuropa und Oikos zwei Verlage, die den Identitären mehr als nur nahestehen. Das Institut Illiade ein paar Stände weiter kommt wiederum aus der IB Frankreich. Weiter hinten und etwas stiefmütterlich platziert zwischen der Marinezeitschrift Schiffe Menschen Schicksale und „Opas gegen links“ befindet sich der Stand der Kohorte UG, an dem neben T-Shirts und Stickern auch das Magazin Identitär angeboten wird. Ebenfalls auf dem Tisch: Flyer für das „Zentrum“ in Chemnitz.

Auch andere Vertreter*innen der Neuen Rechten sind vor Ort, zum Beispiel der Ares Verlag aus Österreich oder der Think-Tank Metapol aus Dresden, der das Magazin Agora Europa herausgibt. Entgegen der Ankündigung nicht vertreten ist aber der Sturmzeichen Verlag, dessen Zeitschrift N.S. Heute als wichtiges Medium der Neonaziszene gilt. Laut Veranstalter*innen ist dieser nur durch „unzulässige Datenmanipulation im Ausstellerportal eines Ausstellers kurzzeitig ins digitale Ausstellerverzeichnis“ gelangt.

Wirklich aufgefallen wäre der Verlag jedoch nicht. Auch wenn kein einziger Verlag offen neonazistisch auftritt und nur wenige Besucher*innen so offen als Neonazis zu erkennen sind wie der Jugendliche, auf dessen Pullover das Logo der Jungen Nationalisten, der Jugendorganisation der Partei Die Heimat (früher NPD), prangt, sind die Übergänge nach ganz weit rechts doch häufig mehr als fließend.

So ist zum Beispiel auch der Arndt-Verlag aus Kiel vertreten, der seinen publizistischen Schwerpunkt im Bereich Geschichtsrevisionismus hat und über den der Verfassungsschutz schrieb, er würde „die NS-Zeit beschönigen“. Der Arndt-Verlag und der inhaltlich ähnlich ausgerichtete Verlag Pour le Mérite sind beide der Lesen & Schenken Verlagsauslieferung und Versandgesellschaft aus Martensrade bei Kiel angegliedert. Und die Bücher beider Verlage finden sich auch im Sortiment des Onlineshops des Sturmzeichen Verlags.

Geschäftsführer von Lesen & Schenken ist Dietmar Munier, früher Mitglied der Gemeinschaft Junges Ostpreussen, der Jungen Nationaldemokraten (heute: Junge Nationalisten) und im Bund Heimattreuer Jugend. Die Zeitschriften Zuerst! und Deutsche Militärzeitschrift (DMZ), die ebenfalls in seinem Verlag erscheinen, sind auch auf der Messe vertreten.

Genauso das Magazin Aufgewacht! der extrem rechten Kleinstpartei Freie Sachsen, herausgegeben von der SVM Sächsische Versand und Medien UG mit Sitz in Chemnitz. Aufgewacht! Ist kürzlich mit der Deutschen Stimme der Partei die Heimat fusioniert und erscheint seit März 2025 einmal monatlich als Aufgewacht – Deutsche Stimme. Dieser Schritt war durchaus naheliegend. Immerhin sitzt der Bundesvorsitzende und sächsische Landesvorsitzende von Die Heimat, Peter Schreiber, für die Freien Sachsen im Kreistag des Landkreises Meißen und im Stadtrat von Strehla.

Die doppelte Buchmesse

Lässt man den Blick durch die Halle schweifen, so stellt man fest, dass sich ein großer Teil des Publikums in zwei sehr unterschiedliche Gruppen einteilen lässt. Fast wirkt es so, als befände man sich gleichzeitig auf zwei verschiedenen Buchmessen.

Zum einen sind da die Identitären. Die jungen Männer mit Sneakern, Polohemd und Seitenscheitel, die jungen Frauen in der neuesten Tradwife-Mode. An ihrer Seite und mit ihnen im Dialog stehen die seriösen Rechts-Konservativen und Neurechten, die Kubitscheks und Kositzas und ihre Epigon*innen. Sie umschwärmen den Stand des Verlags Antaios und machen Witze über das Compact Magazin.

Doch dann ist da noch die andere, bei weitem größere Gruppe: Männer und Frauen jenseits der 50, gekleidet in Funktionsjacken, den Kopf verdreht von zu viel Telegram. Sie passen nicht wirklich in diese Welt, in der von Metapolitik und nominalistischer Wende gesprochen wird. Sie verstehen sie nicht einmal. Sie sind nur hier, weil es gegen Migrant*innen, Merkel und den vermeintlichen Impfzwang geht. Und sie sind es, die der AfD ihre kommenden Wahlsiege bescheren werden.

Glanz und Gloria

Sie sind es auch, die sich besonders von Gloria von Thurn und Taxis, dem Stargast des ersten Tages mitreißen lassen. Mit Standing Ovations begrüßen sie die Adelige und viele vergessen sogar für einen Augenblick das strickte Fotografierverbot, um ein verwackeltes Bild der Fürstin aufzunehmen. Fast eine Stunde lang lässt diese sich von Alexander Kissler von NiUS interviewen und feuert dabei ein regelrechtes Feuerwerk bizarrer Aussagen ab.

Friedrich Merz habe eigentlich nichts zu sagen, so Thurn und Taxis, weil ja die Linke Deutschland seit 60 Jahren regiere. „Genderideologie“ sei verdeckter Sozialismus und die Antifa „die neue SA, aber das darf man ja nicht sagen“. Als Kissler darauf hinweist, dass manche ihr eine Nähe zu Verschwörungsdenken vorwerfen könnten bei dem, was sie sagt, kontert sie: „Ich glaube nicht an die große Verschwörung. Ich glaube an die Macht des Bösen!“

Dabei ist es durchaus auffällig, dass Thurn und Taxis für ihre Angriffe auf vermeintliche Cancel Culture und die etymologisch fragwürdige Aussage „rechts kommt von rechthaben“ deutlich mehr Applaus erhält als für ihre etwas eigenwillige These, „wir Rechten“ seien doch eigentlich „offen und liberal“ oder auch für ihre erzkatholischen Ausfälle der Marke „Wir sind auf dieser Welt, um uns fortzupflanzen und ein gottgefälliges Leben zu führen.“ Im gottlosen Osten ist das vielleicht doch nicht ganz der richtige Tonfall, auch wenn sie noch so oft mit bescheidenem Erfolg einen sächsischen Akzent imitiert und erklärt, ihre Familie käme ja ursprünglich aus Sachsen.

Immer wieder die AfD

Die Buchmesse „Seitenwechsel“ ist ein Erfolg. Das lässt sich nicht anders sagen. So gut wie jede Veranstaltung ist überlaufen. Beim Gespräch von Götz Kubitschek mit dem verurteilten Volksverhetzer Aron Pielka, der erst im Mai vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, ist die Schlage sogar so lang, dass, obwohl die Menschen bis an die Wände dicht gedrängt stehen, noch etliche draußen bleiben müssen.

Auch die Schlangen an den nur zwei Gastronomieständen sind unerträglich lang. Die meisten jedoch scheint das nicht zu stören. Zu stark ist das Gefühl, bei etwas Großem dabei zu sein. Die Messe, so hört man immer wieder, ist erst der Anfang. Nur ein weiterer Schritt auf dem langen Weg, der unweigerlich an die Macht führen wird.

Schaut man jedoch etwas genauer hin, dann erkennt man, dass bei weitem nicht alles Gold ist. Die „BücherMesse“, so die Selbstbezeichnung, hat es nicht einmal geschafft, eine einzige Halle tatsächlich mit Bücherständen zu füllen. Ein halbes Dutzend Stände widmet sich Kunsthandwerk. Eine Reihe weiter verkauft die rechte Influencerin Michelle Gollan alias eingollan Baseballcaps und Mützen mit dem Slogan „Make Germany Great Again“. Und was der Stand von Bader Cruising, einer örtlichen Firma, die sich offenbar auf Katamarane spezialisiert hat, mit Büchern zu tun hat, erschließt auch nicht auf den ersten Blick.

Auf den zweiten Blick jedoch findet man sehr schnell heraus, dass der Inhaber der Firma Burkhard Bader wie so viele hier in der Halle eine Verbindung zur AfD hat. 2013 wurde er in Sachsen-Anhalt zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt; 2014 trat er für die Partei in der Wahl zum Stadtrat von Halle an.

Ähnlich ist es bei Dubravko Mandic, der ebenfalls mit einem großen Stand vertreten ist, an dem blau-goldene Visitenkarten aus Metall ausliegen. Mandic war Mitglied der AfD und wollte als Stadtrat in Freiburg den dortigen Bürgermeister „aus dem Amt jagen“. 2021 trat er jedoch, noch während ein Ausschlussverfahren gegen ihn lief, aus der Partei aus. 2022 sprach er auf dem Netzwerktag der Deutschen Stimme, des Parteiorgans der damaligen NPD. Ebenfalls 2022 wurde er nach einem Angriff auf zwei Männer, von denen er annahm, sie würden Wahlplakate der AfD beschädigen, zu einer Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung verurteilt.

Überhaupt ist die AfD sehr präsent dafür, dass sie selbst namentlich nur in Form des Standes der parteieigenen Gruppe für Heimatvertriebene, Aussiedler und Deutsche Minderheiten auftritt. Einer der größeren Stände in der Mitte der Halle wird jedoch von Europa der Souveränen Nationen (ESN) betrieben, der extrem rechten Europapartei, der unter anderem die AfD angehört.

Auch auf dem Bildschirm hinter der Hauptbühne wird das Logo der Partei gemeinsam mit dem der Messe eingeblendet und gleich zwei halbstündige Talkrunden werden von ihren Europaabgeordneten bespielt. Offenbar geht die Partnerschaft über das bloße Betreiben eines Messestandes hinaus. Es wirkt sogar beinahe so, als gäbe es den weitgehend inhaltsleeren Messestand nur, damit es einen Grund für die Partei gibt, die Messe finanziell zu unterstützen.

So oder so tritt zunächst der stellvertretende Vorsitzende der ESN Alexander Sell mit Lukáš Kopáč von der slowakischen Partei Hutnie Republika und Mila Urban von der tschechischen Partei Svoboda a Přímá Demokracie (Freiheit und direkte Demokratie) auf. Danach spricht IB-Aktivistin Irmhild Boßdorf mit Tom Zwitser vom niederländischen Verlag De Blauwe Tijger und Sia von Riva vom rechten Frauennetzwerk Lukreta über rechte Ästhetik und Lebensstile.

Das Gespräch will zwar nicht recht in Gange kommen, das Thema jedoch scheint gut gewählt. Ein Gutteil der Messe wirkt sehr darauf bedacht, einen eben solchen rechten Lebensstil und eine genuin rechte Ästhetik zu propagieren – wobei offenbar keine Einigkeit darüber besteht, wie genau das aussehen soll. Mehrere Selbstverleger, die mit historischen Romanen oder ähnlichem angereist sind, stehen die meiste Zeit ziemlich allein an ihren Ständen. Auch die Stände des Kinderbuchverlags klein&ehrlich aus München oder der „Expertin für Lernprozesse“ Romy Oswald aus Geisa in Thüringen sind nicht gerade überlaufen.

Fazit und Einordnung

Die Messe „Seitenwechsel“ hat sowohl auf Aussteller*innen- als auch auf Besucher*innenseite sehr unterschiedliche Menschen zusammengebracht. Zwar ist die Quote von Menschen mit Migrationsgeschichte erwartbar niedrig, der Frauenanteil jedoch ist mit grob geschätzt einem Drittel beachtlich hoch für eine extrem rechte Veranstaltung.

Und doch bleibt beim Verlassen des Messegeländes der Eindruck, in einer bizarren Parallelwelt gewesen zu sein – ein Eindruck, der sich nach Rückkehr in die Innenstadt, wo rein gar nichts an die Messe erinnert, noch verstärkt. Wenn etwa Fritz-Erik Hoevels, der Anführer der Politsekte Bund gegen Anpassung aus Freiburg, die auf der Messe in Form des Ahriman Verlags vertreten ist, von der Antifa als „Schmutzwerfer- und Schlägertruppe des US-Megakapitals“ spricht und davon, dass es gegen die Messe „Pogromaufrufe in Halle und Leipzig“ gegeben habe, dann kann man sich schon fragen, wo man hier eigentlich gelandet ist.

Doch Hoevels oder auch Diether Dehm und der aus dem Blog Die Achse des Guten hervorgegangene Verlag Achgut Edition sind ohnehin nur die querfrontlerischen Farbtupfer in einem Gesamtbild, das vor allem in blau und braun gezeichnet ist. Soviel auch von Meinungsfreiheit die Rede ist, so klar ist doch ebenso, welche Meinungen hier akzeptiert sind und welche nicht.

6.000 Menschen sollen nach Veranstalterangaben über das Wochenende verteilt auf der Messe gewesen sein. Am Vorabend der Messe beim Regionalligaspiel zwischen dem Halleschen SC und dem SV Babelsberg 03 waren es genauso viele. Zu den Derbys gegen Chemie und Lok Leipzig kamen das doppelte an Zuschauer*innen. So gesehen ist die Messe nicht mehr als eine Randerscheinung.

Wenn Alexander Kissler behauptet, sie könne beinahe „mit Leipzig und Frankfurt mithalten“, zeigt sich die der Abstand zur Realität. In Leipzig waren in diesem Jahr über 2.000 Aussteller*innen vor Ort, in Frankfurt sogar über 4.000. Beide Messen hatten mehr als 200.000, Leipzig sogar fast 300.000 Besucher*innen.

Und dennoch sollte die Bedeutung von „Seitenwechsel“ nicht unterschätzt werden. Allein, dass es sie gibt, ist ein Achtungserfolg, der so noch vor wenigen Jahren nicht möglich gewesen wäre. Die Messe ist auch ganz sicher ein wichtiger Ort für die Branche, an dem Kontakte geknüpft und Netzwerke ausgebaut werden. Die Zahl von rund einhundert Austeller*innen, von denen etliche nicht einmal wirklich etwas mit dem Verlagswesen zu tun haben, zeigt aber doch auch recht deutlich, wie begrenzt die Reichweite extrem rechter Publizistik gesamtgesellschaftlich – noch – ist.

Die Gesamtgesellschaft ist allerdings auch gar nicht die Zielgruppe der Messe. Sie will niemanden überzeugen, sie will diejenigen erreichen, die bereits überzeugt sind. Und das gelingt ihr offenbar sehr gut. Am 7. Und 8. November 2026 soll es eine Neuauflage geben. Betrachtet man die jüngsten Umfrageergebnisse, so erscheint es durchaus realistisch, dass zu diesem Zeitpunkt in Sachsen-Anhalt bereits die AfD noch mehr Macht hat.

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