4. November 2025
Den Verein „different people“ gibt es bereits seit 2002.
(Quelle: different people)
Das Logo des Chemnitzer Vereins „different people“ ist lustiger als seine Tätigkeit. Im Kopf der Website entdeckt man den „Nischel“, das Chemnitzer Wahrzeichen, die 1971 eingeweihte zweitgrößte Porträt-Bronzebüste der Welt mit dem Kopf von Karl Marx. Aber dieser Kopf trägt eine bunte Regenbogenmütze! In dem bereits 2002 gegründeten Beratungs- und Begegnungszentrum für queere Menschen wird erzählt, ein Mitarbeiter habe mal einen Marx-„Nischel“, wie ein Kopf in sächsischer Sprache genannt wird, spaßeshalber aus Pappmaché nachgebaut. Und dann sei jemand gekommen und habe ihm eine Mütze aufgesetzt. Eine bunte natürlich. „Die Leute fanden das so cool, dass es zum Logo wurde“, erklärt Nicole Macheleidt, die erst 2018 zum Verein stieß und als Projektleiterin für Bildungsangebote im Umland zuständig ist. „Wir verschwulen ein bisschen den Marx!“
Macheleidt lacht viel, aber nur so heiter kann man die schwieriger gewordene Arbeit im Verein wahrscheinlich durchstehen. 2002 formierte sich eine Initiative queerer Personen in Chemnitz und traf sich in einem kleinen Kellerraum in der Innenstadt. Offensichtlich gab es einen Bedarf für ein solches Zusammenfinden und gegenseitige Unterstützung. Denn die Gruppe wuchs, gründete sich als Verein mit dem Namen „different people“ und suchte größere neue Räumlichkeiten.
Die fand der Verein im Brühl-Künstlerviertel am Flüsschen Chemnitz, unweit von Busbahnhof und Universitätsbibliothek gelegen. Das Gebäude mit der bunten Einfahrt liegt etwas versteckt, und man kommt über den Hinterhof hinein. Für einige Interessenten ist das wichtig, insbesondere dann, wenn man sich zum ersten Mal beraten lassen will. Es kann Mut erfordern und einen Kraftakt bedeuten, diesen Schritt ins Ungewisse zu gehen, auch wenn die unmittelbaren Hausnachbar*innen sich tolerant und verständnisvoll zeigen.
Alarmierende Entwicklung von Intoleranz
Vor aller Beschreibung der Arbeit des Vereins sind damit aber schon die Veränderungen in den 23 Jahren seit seiner Gründung benannt, die diese ermunternde und pädagogische Tätigkeit immer mehr erschweren. Macheleidt, Anfang 30, hat in den sieben Jahren, die sie dabei ist, alarmierende Unterschiede wahrgenommen. „Wenn wir 2018 in Schulen gingen, war es noch kein Problem, einen Zwei-Stunden-Workshop störungsfrei durchzuhalten.“ Das Feedback sei weitgehend positiv gewesen, es gab wenige bis gar keine rechten Vorfälle. Man musste mit den eigenen Teamverantwortlichen auch noch nicht über Grenzverletzungen und Codewörter reden, mit denen man eine Veranstaltung abbrechen kann, wenn sie unerträglich wird.
Inzwischen aber nehme Queerfeindlichkeit bei sich radikalisierenden Schüler*innen zu. „Schon ab der sechsten oder siebenten Klasse sind Leute in rechten Strukturen drin, der Ton wird rauer.“ Es gäbe keinen Zweifel daran, dass die erlebten Schulklassen in Chemnitz und Umgebung den Durchschnitt der Heranwachsenden repräsentieren, so aufgeschlossen Schulleitungen und Eltern auch sein sollten. Was keineswegs selbstverständlich ist.
Mit dem Erstarken der AfD gehören Anfeindungen zum unwidersprochen Sagbaren, und Politiker*innen machten da keine Ausnahme. Als ein Beispiel nennt Macheleidt das vom sächsischen Kultusministerium verhängte verschärfte Genderverbot an Schulen. „Vielfältige Lebensweisen sollen systematisch totgeschwiegen werden!“ Zunehmend müsse man auf Schüler*innen verzichten, weil sie sich weigern, über Liebe und Freundschaft zu reden. In der Folge lasse auch das ehrenamtliche Engagement nach, auf das „different people“ trotz der immerhin zehn Festangestellten angewiesen ist. „Manche trauen sich nicht mehr, in Schulen über persönliche Erfahrungen zu berichten, weichen dann eher auf Social Media oder auf kreative Dienste für den Verein aus!“
Selbst für ein offenes Klima aktiv werden
Zu ihrer eigenen Schulzeit hätte sich Nicole Macheleidt gewünscht, „dass mal jemand kommt und aufklärt, dass nicht allein Heterosexualität ein von Gott gegebenes Naturgesetz ist“. Denn queeres Empfinden und entsprechende Lebensweisen gibt es länger als den Chemnitzer Verein, und sie seien auch nie unsichtbar gewesen. Sie selbst entdeckte sich so, lebt mit einer Partnerin zusammen. Ihre sexuelle Orientierung aber gehörte in dem kleinen thüringischen Dorf, in dem sie aufwuchs, nicht zum Standard. Sie sei zwar nicht persönlich attackiert worden. Aber sie habe über Medien lange nur die Schauspielerin, Komikerin und Moderatorin Hella von Sinnen gekannt, die mit einer Tochter des ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel (FDP) zusammenlebte, erzählt sie mit unübersehbarem Lächeln. Mit der aber konnte sie sich nicht identifizieren.
„Ich wollte es lieber selber angehen, zu helfen und ein offeneres Klima zu schaffen!“ Als Pädagogin habe sie sich auf Antidiskriminierungspädagogik fokussiert und schließlich den Verein gefunden, der ihr sehr viel Freude macht. Die entstehe, wenn man eigene Erfahrungen an junge Menschen weitergeben könne. Solche Entwicklungs- und Erkenntnisprozesse hat Macheleidt bei den engsten Verwandten erlebt. Nach ihrem Outing habe ihre Mutter zunächst ein Jahr nicht mehr mit ihr geredet, „weil sie unwissend war“. Mittlerweile aber sei sie „mein größter Fan“ und unterstütze sie in allem.
Bildung in Schulen mit nachhaltigerem Ansatz
Wie wurde „different people“ in Chemnitz zur zweiten Heimat von Nicole Macheleidt? Sie erläutert zunächst die Strukturen. 82 Mitglieder zählt der Verein derzeit, bei Gästen in einer Altersspanne von fünf bis 85 Jahren grenzt man hier niemanden aus. Vier Vorstandsmitglieder bewältigen die notwendige Vereinsarbeit ehrenamtlich. Die drei Themenschwerpunkte Begegnung, Beratung und Bildung werden von drei Teams getragen: Das Jugendamtsteam Chemnitz, die Umlandberatung in Hohenstein-Ernstthal und das Bildungsteam Umland mit dem MIQA-Projekt, dem Nicole als Projektleiterin vorsteht. Das Kürzel MIQA steht für „Miteinander für queere Akzeptanz“. Das Einzugsgebiet erstreckt sich von Mittelsachsen bis hinauf ins Erzgebirge und das Vogtland. Fördergelder kommen vom Bundesprogramm „Demokratie leben“, aus den sächsischen Ministerien für Justiz und Soziales und vom Jugendamt Chemnitz.
Der von Macheleidt betreute Bildungsbereich ist zweifellos der heikelste. Er richtet sich an Fachkräfte, an Multiplikator*innen allgemein, an alle, die in der Pflege oder in der medizinischen Versorgung ausgebildet werden, auch an Tätige im Freiwilligen Sozialen Jahr. Am anspruchsvollsten sind die „Missionen“ in Schulen. Ab der siebten Klasse initiieren die Teams zunächst eine anonyme Fragerunde und Gespräche unverfänglicher Art über Liebe, Freundschaften, Beziehungen überhaupt. Die Schülerfragen schwenken dann automatisch zum Sex und möglichen Komplikationen, wenn das Geburtsgeschlecht nicht zur gefühlten Identität passen sollte oder Sex und romantische Liebe nicht übereinstimmen. Bei diesem Kernstück der Bildungsarbeit folgt man dem sogenannten kontakthypothetischen Ansatz. Jüngere Ehrenamtler, nach Alter noch nicht so weit von den Schüler*innen entfernt, überzeugen durch Berichte ihrer persönlichen Erfahrungen.
Mit dem Wiedereinstieg beim Verein 2023 nach einer Pause hat Macheleidt rasche Veränderungen, ja Erosionen beobachtet. Es sei nicht mehr zu schaffen, mit einem 90-Minuten-Workshop die negative Stimmung in einer Schulklasse zu kippen. „Feuerlöschaktionen funktionieren nicht mehr!“ Auf Kontinuität, auf nachhaltigen Einfluss komme es an. „Ich glaube, dass Beziehungsarbeit ein maßgeblicher Einflussfaktor in der politischen Bildung ist.“
Seit diesem Jahr probiert MIQA ein neues Konzept. Bis hoffentlich 2028 will man eine Schule langfristig begleiten, so die Förderung nicht versiegt. Beginnend mit Workshops in der siebten Klasse, mit Elementarregeln, Vermittlung von Werten, Teilhabe, Selbstbestimmung und festgeschriebene Rechte, mit Demokratie, Identität, Liebe und Sex, ein ganzheitlicher Ansatz. Andere Schulen sollen auf Erfahrungen mit diesem Modell zugreifen können.
Es darf auch gefeiert werden
Nach aller Erfahrung braucht die Trans-Gruppe unter den „Klienten“ des Vereins die meiste Unterstützung. Sie sind im Alltag offensichtlicher erkennbar als eine lesbische Frau oder ein schwuler Mann. Die Beratung erfolgt von Montag bis Samstag individuell, und dabei spielen auch Informationen über gesetzliche Grundlagen wie das seit einem Jahr geltende Selbstbestimmungsgesetz eine Rolle.
Aber Interessierte können einfach auch nur in die Vereinsräume kommen, um Geselligkeit und Gemeinschaft zu erleben und zu entspannen. Von Montag bis Donnerstag und am Freitagabend gibt es solche Angebote. In einem Newsletter kann man sich informieren. Studierende können sich ebenfalls hier finden und bei Bedarf auch Hilfsangebote nutzen. Das ist die spontane Seite. Die offiziellen Bildungsangebote sind schon bis zum Sommer 2026 ausgebucht. Es gibt also Bedarf!
Eine irreführende Behauptung möchte Nicole Macheleidt noch richtigstellen. Sie könne „absolut nicht bestätigen“, dass Migrant*innen oder Muslim*innen Hauptträger von Queerfeindlichkeit seien. Anfeindungen kämen aus allen Richtungen, eher von Christlich-Konservativen, und erwartungsgemäß von solchen, die sich bereits in rechten Formationen bewegen. Schließlich verrät sie noch, dass „different people“ und sie selbst sich für den Verein um den sächsischen Demokratie-Förderpreis beworben haben. Zu Veränderungen motivieren, Ansprechperson sein, etwas zu Hoffnung und mehr Demokratie beizutragen – „damit hat der Verein es verdient!“