7. November 2025
Das Oberlandesgericht in Dresden.
(Quelle: Charlie Kaufhold)
Belltower.News. Dabei gibt es so viele offene Fragen im NSU-Komplex. „Warum wir?“ fragt Serkan Yıldırım und prangert das fehlende Wissen um die genaue Auswahl der Opfer an. Dass es bisher wenig Berichterstattung über den Prozess gibt, finden Serkan Yıldırım und sein Anwalt Engin Sanli enttäuschend: „Wenn Merz sich über das ‚Stadtbild‘ äußert, berichten alle. Jetzt geht es um die Aufklärung rassistischer Gewalt und das Interesse ist gering“, so Engin Sanli.

Im Unterschied zu dem NSU-Gerichtsverfahren in München gibt es heute keine langen Schlangen, keine Interessierten, denen der Zugang zum Gerichtsgebäude wegen Platzmangel verwehrt bleibt. Vor dem abgelegenen Gerichtsgebäude im Norden von Dresden sammeln sich ab 8 Uhr Demonstrant*innen für eine Kundgebung. Sie zeigen Solidarität mit den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer des NSU. Auf einem Transparent heißt es: „Naziterror bekämpfen & Betroffene entschädigen!“.

Auf einem anderen steht: „Das Problem heißt immer noch Rassismus!“. Es gibt Kaffee aus Thermoskannen und selbstgebackene Zimtschnecken. Gegen 8.30h sind es etwa 60 Demonstrant*innen. Es wird ein Redebeitrag von Gamze Kubaşık, Mandy und Michalina Boulgarides und Semiya Şimşek verlesen. Die Töchter der Mordopfer Mehmet Kubaşık, Theodoros Boulgarides und Enver Şimşek haben erst kürzlich die Initiative „Echoes of Witnesses“ gegründet.
Die Anklageschrift und die Angeklagte
Im Gerichtsgebäude eröffnet die Richterin Simone Herberger um 10 Uhr den Prozess. Einige Plätze im Publikumsbereich bleiben leer. Die Sicht ist durch das stark spiegelnde Glas zwischen Zuschauer*innen und Gericht eingeschränkt. Der Ton wird durch Mikrofone übertragen.
Susann Eminger gibt ihre Personalien an: Sie lebe in Kirchberg, sei gelernte Hauswirtschafterin und arbeite derzeit als Pflegekraft. Sie sitzt zwischen ihren Anwälten Uwe Schadt und Hendrik König, beide aus Berlin. Uwe Schadt hat schon zuvor extrem rechte Angeklagte vertreten. Darunter war auch Maik Eminger, Susann Emingers Schwager und Zwillingsbruder ihres Ehemanns André Eminger. Schadt hatte Maik Eminger vertreten, als dieser wegen Volksverhetzung angeklagt und verurteilt wurde.
Susann Eminger wirkt uninteressiert, als Oberstaatsanwalt Wolfgang Barrot die Anklage verliest. Ihr wird vorgeworfen, seit 2007 von den rassistisch motivierten Morden des NSU gewusst zu haben. Es habe eine „intensive und vertrauensvolle Freundschaft“ gegeben. Konkret heißt es in der Anklageschrift, dass Eminger Zschäpe ihre Daten zur Verfügung gestellt hat, um eine Bahncard 25 anzufertigen, die mehrfach verlängert wurde.
Es handelt sich um eine Bahncard mit einem Foto von Zschäpe und dem Namen von Eminger. So habe sich Zschäpe „behelfsmäßig legitimieren“ können. Zum „Dank“ für die Bahncard habe Eminger eine Musikanlage erhalten und zusammen mit ihrem Ehemann und zwei Söhnen eine Reise nach Disneyland bei Paris geschenkt bekommen.
Auch habe Eminger Zschäpe ihre Krankenkassenkarte zur Verfügung gestellt, damit Zschäpe zu ärztlichen Terminen gehen konnte. Diese Unterstützungsleistungen sind laut Anklageschrift in Kenntnis der Taten des NSU erfolgt. Zudem soll Eminger mit den Daten von Holger Gerlach, der im Münchener NSU-Prozess angeklagt und verurteilt wurde, das Wohnmobil angemietet haben, mit dem der NSU seinen letzten Banküberfall am 4. November 2011 in Eisenach durchgeführt hat. Hierzu soll sie Böhnhardt und Zschäpe zum Wohnmobilverleih gefahren und dies ihrem Ehemann per SMS mitgeteilt haben.
Auf Nachfrage der vorsitzenden Richterin gibt Emingers Anwalt Schadt an, dass sie „vorerst“ nicht aussagen werde. Damit geht der Prozess in die nächste Phase über: in die Beweisaufnahme, die am nächsten Tag beginnen soll. Dabei soll es zunächst um die zur Verfügung gestellte Krankenkassenkarte gehen und hierzu sollen Beamte des Bundeskriminalamts als Zeugen befragt werden. Nach einer knappen halben Stunde ist der erste Prozesstag gegen Susann Eminger beendet.
Die fehlende Nebenklage und die notwendige Öffentlichkeit
Zusammen mit seinem Anwalt hatte sich Serkan Yıldırım bemüht, als Nebenkläger im Prozess aufzutreten. Diesem Anliegen hat das Gericht nicht entsprochen. Die Begründung war, dass sich die Anklage erst auf die Zeit seit 2007 beziehe. Der Anschlag, den Serkan Yıldırım überlebte, war 1999. „Sie hätten Herrn Yıldırım zumindest als Zeuge anhören können“ sagt sein Anwalt Engin Sanli. So ist seine Perspektive im Prozess nicht vertreten. Engin Sanli hat den Eindruck, das Gericht wolle das Verfahren schnell abwickeln.
Da es keine Nebenklage gibt, ist die Öffentlichkeit im Prozess umso wichtiger. Prozesstage sind noch bis Ende Juni 2026 angesetzt. Susann Eminger wird voraussichtlich die letzte Angeklagte im Zusammenhang mit dem NSU sein. Doch der NSU-Komplex ist nicht aufgeklärt – und dabei darf es nicht bleiben.