Sächsischer Förderpreis: Braunblaues Treiben gegen „Buntes Meißen“

31. October 2025


Das Intercultural Festival in Meißen.

(Quelle: Buntes Meißen)

Die Umgebung des neuen Domizils vom „Bunten Meißen“ erscheint auf den ersten Blick wirklich bunt. Der „Treff25“ am Theaterplatz liegt in der harmonischen Altstadt unterhalb des imposanten Burgbergs mit Dom und Albrechtsburg. Keine fünfzig Meter entfernt empfängt der Haupteingang des Theaters Besucher, auf den Gassen und Plätzen herrscht zumindest ein Hauch von Touristenflair in der Stadt, die sich gern als „Wiege Sachsens“ bezeichnet. Die für das Stadtklima typischen Kontraste vermittelt erst Insiderwissen. Denn gleich um die Ecke auf der Badergasse betreibt Siegfried Däbritz seine Altstadt-Herberge. Ohne ihren Cheforganisator hätte die nationalistische und ausländerfeindliche Dresdner Pegida-Bewegung nicht ihre zeitweise große Wirkung auf die deutsche Rechte erlangt. Ohne seine rechte Hand Däbritz wäre der unberechenbare Selbstdarsteller Lutz Bachmann nicht zu deren Häuptling aufgestiegen.


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Von solchem Ungeist in der Nachbarschaft aber weht in den „Treff25“ nichts herein. Eben ist ein von Nicole Böer geleiteter Workshop „Herbstmalerei“ zu Ende gegangen. Jetzt sitzt sie im Hauptraum am Bürotisch, mehr Platz ist nicht. Dahinter befindet sich noch ein zweiter Raum mit einer kompletten Küche, wo einmal wöchentlich gemeinsam gekocht wird. Dienstag bis Donnerstag ist ab zehn Uhr immer jemand da, Frühstücks- und Feierabendrunde laufen flexibel. Sprachwerkstatt, Prüfungstraining, Kinder-, Jugend- und Kulturtreff stehen auf dem Wochenplan. Jeden Freitag beginnt um 15 Uhr ein Kreativtreff mit wechselnden Themen, alles kostenlos. Einmal monatlich startet ein Ausflug in die Stadt oder in die von der Elbe, dem Tal der Triebisch oder auch vom Wein geprägte Umgebung.

Erst seit Februar 2025 kann der Verein die zuvor leerstehenden Räume nutzen. Der Einzug in den „Treff25“ erscheint wie ein kleines Wunder, denn der Freistaat Sachsen befand sich im ersten Halbjahr 2025 nach später Regierungsbildung noch in der Phase der vorläufigen Haushaltsführung, die den Ende Juni verabschiedeten Krisenhaushalt ahnen ließ. Die Förderung kommt aus dem über das Sozialministerium des Landes laufenden Programm Integrative Maßnahmen. Dort war man im Vorjahr zwar mit einem Projekt gescheitert. Aber der Antrag für den Treff wurde pünktlich zu Weihnachten mit Hilfe eines kleinen verbliebenen Fördertopfes positiv beschieden. Der Verein hatte Hilfen zum Erlernen der deutschen Sprache in den Mittelpunkt gestellt. Sparen muss er dafür an anderer Stelle. „Ich sitze nur hier, weil so viele Menschen für uns als Verein gespendet haben, damit ich als seit 2016 Angestellter bleiben kann“, erklärt Geschäftsstellenleiter Sören Skalicks.

Reichsbürger als „Geburtshelfer“

Der geborene Meißener kann als einer der Geburtsväter des „Bunten Meißen“ gelten. „Pate“ standen dafür 2013 einige Reichsbürger, allen voran ein auch in überregionalen Medien präsenter sächsischer Neonazi namens Ingo Köth. Der hatte für den 25. Juli in Meißen einen „Tag X“ angekündigt. Pfarrer Bernd Oehler rief daraufhin gemeinsam mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Susann Rüthrich zu einem Treffen in der Lutherkirche im Triebischtal auf. „Das wollen wir nicht haben in Meißen!“ Neben engagierten Bürgern und Kirchenmitgliedern erschienen Parteivertreter von der CDU bis zur Linken. Das für den gleichen Tag X angekündigte „Fest der Vielfalt“ kontra Reichsbürger wurde zum Ausgangspunkt zunächst für ein Bündnis „Buntes Meißen“. Der Tag verlief friedlich, wohl auch, weil die Polizei einige Beschwörer reichsdeutscher Vergangenheit abführte.

Blieb es zunächst bei losen Gesprächsrunden, bei denen aber „nicht viel passierte“, erinnert sich Skalicks, so reifte im Frühjahr 2015 der Entschluss, sich als Verein zu konstituieren. „Buntes Meißen – Bündnis Zivilcourage e.V.“, so der vollständige Name, vereinte ein breites Spektrum an Mitgliedern. Pragmatische Gründe wie die Spendeneinwerbung spielten für diese Entscheidung auch eine Rolle. Vor allem aber erreichten mehr und mehr Flüchtlinge aus Krisengebieten Deutschland, die dringend sofortiger Hilfe bedurften. Die fragte die Stadt beim Bündnis sogar an.

Hilfe für Geflüchtete dominierte anfangs

Das Bündnis nahm den berühmt gewordenen Spruch von Kanzlerin Angela Merkel vom 31. August 2015 „Wir schaffen das“ vorweg und packte spontan und bedingungslos an. Denn es fehlte an allem, an Orientierungshilfen, an Kleidung, an Windeln, an Schulranzen. Der Verein richtete eine Computerwerkstatt ein, gab Fahrradkurse für Frauen und eröffnete auf einem ehemaligen Schießplatz der Sowjetarmee im Ortsteil Bohnitzsch einen Internationalen Garten. Neben den formal Zuständigen wie der Diakonie konnte das Bunte Meißen als der einzige Integrationsverein gelten. Ende 2015 reifte im SPD-geführten Sozialministerium die Idee, ein Programm für integrative Maßnahmen einzuführen. Dafür stellte der Verein sofort einen Antrag, und ab dem Frühjahr 2016 kam tatsächlich eine Förderung des Freistaates.

Dank der relativ sicheren Förderung scherte Sören Skalicks aus seinem bisherigen Beruf als Projektleiter einer IT-Firma aus und übernahm hauptberuflich die Projekt- und Geschäftsstellenleitung des Vereins. „Das ist es mir wert! Ich bin näher an meiner Familie dran und ich mach das, was ich immer gern wollte“, blickt der gebürtige Meißener heute lachend zurück. Vor zehn Jahren gehörte er noch der Piratenpartei an. Ihm zur Seite sitzt Maria Fagerlund, die lange im Ausland gelebt hatte und mit Mann und Kind erst 2016 nach Meißen kam. Sie landete im „Atelier Frauenvielfalt“ des Vereins für geflüchtete Frauen mit Kindern und wuchs nach einem Bufdi-Jahr in den Verein hinein. Seit 2025 ist sie Vorstandsmitglied. Dessen damalige Funktion beschreibt sie als Schnittstelle zwischen Stadt, Landkreis, Ausländerbehörde und den Ankommenden, als Vermittler auch zu Institutionen wie Schule und Kindergarten.

Drastische Zunahme von Attacken

Welches Klima in Stadt und Behörden begegnete Maria damals? Sie habe keine Ahnung gehabt, wie Sachsen oder Meißen tickt. Nachdem sie es ihr Leben lang gewohnt war, mit Menschen aus anderen Nationalitäten zusammenzuleben, war sie doch schockiert, dass dies in Sachsen nicht normal ist. Nüchtern schätzt Sören Skalicks seine Geburtsstadt ein. „Eine erzkonservative Stadt, die es mit Veränderungen nicht nur schwer hat, sondern diese eigentlich auch gar nicht will!“ Meißen dürfe nur insofern weltoffen sein, als Touristen Geld mitbrächten oder ein Grieche uns in seinem Lokal mit Ouzo bedient – „dann ist er einer von uns“.

Aufgewachsen ist Skalicks im Triebischtal, wo er als Kind nur „Bio-Meißener“ sah. Schon vor 2015 galt die Gegend als sozialer Brennpunkt mit Drogen, Waffen und Alkohol, wofür nun zugezogenen Ausländern die Schuld gegeben wird. Ein Beispiel für Meißener Kontraste, denn die Talhänge hinauf liegen ansehnliche Villen.

Hier, unweit der Porzellanmanufaktur, befand sich das erste, nun vor der Auflösung stehende Büro des Vereins. Ende Juni 2015 hatte ein Brandanschlag auf dieses private, leerstehende Haus, das als Flüchtlingsunterkunft dienen sollte, für überregionales Aufsehen gesorgt. Deswegen meldete Sören seine erste Demo an. Nach lediglich verbalen Auseinandersetzungen über Jahre haben die Attacken auf das bunte Büro seit der Stadtratswahl am 9. Juni 2024 „um tausend Prozent zugenommen“, berichten Maria und Sören. Da nämlich errang die AfD ein Drittel der Sitze und tritt seitdem immer dreister auf. Der Abriss-Bauunternehmer René Jurisch mit dem langen Wikingerbart, darf zwar wegen seiner NPD-Vergangenheit nicht Mitglied der AfD werden, kandidierte aber erfolglos auf dem Ticket der Rechtsextremen zur Oberbürgermeisterwahl am 7. September dieses Jahres.

Maria Fagerlund nennt ihn einen Faschisten, und Skalicks „musste als Kind schon vor seinen Leuten sprinten“. Denn Jurisch gründete vor rund 25 Jahren den „Verein zur germanischen Brauchtumspflege Schwarze Sonne“ und trägt bis heute dessen der SS entlehntes Tattoo am linken Oberarm. „Mit Jurisch und der Kommunalwahl fing die massive Stimmungsmache gegen uns an“, konstatiert Maria. Am bisherigen Büro blieb es nicht bei Zettelchen in schlechtem Deutsch wie „Ukrainer raus“ oder „Sachsen den Sachsen“. Eine Granatenattrappe sollte Angst verbreiten, Beutel mit Hundekot flogen auf das Grundstück, und es brannte nicht nur das Vereinsschild, sondern Anfang Juli 2025 auch die Hecke. Eine Lehrerin, die morgens Kurse gibt, hatte Angst, als Erste am Büro einzutreffen. Verdächtig ist jeweils ein Einzeltäter aus der Nachbarschaft, die ansonsten bis auf wenige Ausnahmen gleichgültig bleibt.

Demokratieverteidiger müssen sich selbst verteidigen

„Das ist das rhetorische Gift der AfD, das halt Wurzeln schlägt und wo aus Worten Taten werden“, erklärt Fagerlund. Und beide schütten ihr Herz aus über den verhängnisvollen Trend, Nichtregierungsorganisationen als Antifa oder linksextrem abzustempeln. Sich ständig rehabilitieren zu müssen, ziehe Energien von nützlicher Arbeit ab. „Während wir tatsächlich demokratische Basisarbeit machen, werden wir in die linke Ecke gedrängt und müssen uns dafür rechtfertigen!“ In vielen Kommunen marschieren AfD und CDU längst gemeinsam in diese Richtung, wie Beispiele im mittelsächsischen Wurzen oder eben in Meißen zeigen.

Dort aber will man sich unbeirrt an die auf der Homepage nachlesbaren Vereinsgrundsätze halten: Das Grundgesetz achten und verteidigen, Vielfalt der hier lebenden Menschen respektieren und Gewalt ablehnen, lauten die zusammengefasst. Es bleibt neben der alltäglichen Arbeit bei den drei jährlichen „Riesenevents“: Tanz gegen Rassismus, interkulturelle Bühne beim Literaturfest, wo zuletzt Jakob Springfeld, Margot Käßmann oder Sebastian Krumbiegel lasen, das Intercultural Festival im September im Garten. Dazu Stolpersteinrundgänge, wenn es sein muss, auch einmal eine Demo. Wenn nach den Correctiv-Recherchen zu Remigrationsplänen 700 Leute und vor der Bundestagswahl 130 kommen, gilt das in Meißen schon als Erfolg.

Aus dem Oberbürgermeisterwahlkampf hat sich das „Bunte Meißen“ bewusst herausgehalten. Aber Maria Fagerlund und Sören Skalicks verbergen nicht ihre Genugtuung, dass der Sieg des parteilosen Kandidaten Markus Renner mit 58,5 Prozent überraschend deutlich ausfiel, während der plötzlich mit Kreide gefütterte René Jurisch für die AfD nur auf 30,4 Prozent kam. „Wir haben so gute Laune wie lange nicht mehr!“


Die Verleihung des Sächsischen Förderpreis für Demokratie findet am 6. November in Dresden statt. Hier kannst du dich anmelden.

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