16. October 2025
Wenn Geld fehlt, steigt für Frauen das Risiko für Gewalterfahrungen in der Partnerschaft
Eine neue Studie zeigt: Auch in Deutschland sind deutlich mehr Frauen Opfer von körperlicher Gewalt, wenn sie arbeitslos oder finanziell unzufrieden sind.
von Björn Lohmann4 Minuten

Anfangs war es nur eine abfällige Bemerkung über ihren Einkauf, dann stritt er mit ihr über fehlendes Geld am Monatsende. Beim nächsten Mal schlug er zu. Für viele Frauen in Deutschland ist dieses Szenario bittere Realität: Die finanzielle Abhängigkeit vom Partner macht sie verletzlich – und manchmal wehrlos. Wer den Job verliert oder mit dem Einkommen kaum über die Runden kommt, lebt gefährlich. Das zeigt nun auch eine wissenschaftliche Studie.
Dabei wirkt Deutschland von außen betrachtet wohlhabend. Doch finanzielle Engpässe gibt es auch hier – und sie können dramatische Folgen haben. Die jetzt im Wissenschaftsjournal Plos One veröffentlichte Untersuchung der Soziologinnen Ruth Abramowski von der Universität Bremen und Lara Minkus von der Europa-Universität Flensburg belegt: Eigene Arbeitslosigkeit und finanzielle Unzufriedenheit erhöhen deutlich das Risiko, als Frau in einer Partnerschaft körperliche Gewalt zu erleben.
„Wir wollten ein im deutschen Kontext bisher wenig erforschtes Thema empirisch untersuchen“, sagt Ruth Abramowski. Internationale Studien hätten zwar schon länger auf einen Zusammenhang zwischen ökonomischer Not und Partnerschaftsgewalt hingewiesen, „aber für Deutschland sind kaum belastbare Analysen vorhanden“.
Daten aus mehr als tausend Haushalten
Grundlage der Untersuchung ist das „German Family Panel“ (pairfam) – eine von 2008 bis 2022 zufallsbasierte Langzeitbefragung zu Familie und Partnerschaft. Sie erfasst unter anderem detaillierte Informationen über Erwerbsstatus, Einkommen, Haushaltskontext und erlebte Gewalt. Für ihre Auswertung nutzten Abramowski und Minkus die Angaben von 1.667 Frauen, die sich zwischen zwei Befragungen von ihrem Partner getrennt hatten und angaben, ob es im letzten Beziehungsjahr mindestens einmal zu körperlicher Gewalt kam.
Analysiert wurde physische Gewalt – also Handgreiflichkeiten wie etwa Schläge, Stöße, Tritte, Würgen oder an den Haaren ziehen – gegen Frauen. „Da weitaus mehr Frauen als Männer Gewalt erleben“, wie die Forscherin begründet. Jedes fünfte Opfer von Partnerschaftsgewalt ist männlich. Die Fragen wurden anonym per Computer gestellt, um Hemmschwellen zu senken. Dennoch gehen die Forscherinnen von einer gewissen Untererfassung aus: „Über Gewalt spricht man ungern, aus Angst vor Stigmatisierung oder weiteren Konsequenzen“, erklärt Abramowski.
Arbeitslosigkeit erhöht Gewaltgefahr um zwei Drittel
Die Ergebnisse sind eindeutig. Rund elf Prozent der befragten Frauen berichteten von Gewalterfahrungen rund um die Trennung. Wer mindestens einen Monat arbeitslos war, hatte ein um 7,6 Prozentpunkte höheres Risiko. Das relative Risiko steigt selbst bei sehr kurzer Arbeitslosigkeit demnach bereits um etwa 69 Prozent. Bei längerer Arbeitslosigkeit stieg es sogar um etwa 8,6 Prozentpunkte (relativ um 78,6 Prozent).
Finanzielle Sicherheit schützt vor Gewalt
Auch die Zufriedenheit mit den Haushaltsfinanzen spielte eine klare Rolle: Je zufriedener die Frauen mit ihrer finanziellen Situation waren, umso geringer war ihr Risiko, dass ihr Partner sie schlägt, Gegenstände nach ihnen wirft oder sie sonstige geschlechtsspezifische Gewalt erfahren. Jede Stufe mehr Zufriedenheit auf einer Skala von 0 bis 10 reduzierte die Wahrscheinlichkeit, das ihnen Gewalt angetan wird, um rund einen Prozentpunkt. Von Frauen, die mit ihrer finanziellen Lage völlig zufrieden waren, wurde also im Schnitt jede sechzehnte Opfer von Gewalt durch ihren Partner, während es bei finanziell unzufriedenen Frauen jede sechste traf.
Frauen mit Kindern droht öfter Gewalt
Eine weitere Einflussgröße ist die Mutterschaft. Frauen mit Kindern waren stärker gefährdet – mit einem Kind lag das Risiko rund zehn Prozentpunkte höher, mit zwei oder mehr Kindern nochmals darüber. „Kinder können die finanzielle Abhängigkeit verstärken, weil Mütter oft ihre Arbeitszeit reduzieren oder ganz aus dem Beruf aussteigen“, erläutert Abramowski.
Warum Geld Macht bedeutet
Erklären lässt sich der Zusammenhang mit dem sogenannten Power Resource Approach. Er besagt, dass der Partner mit mehr ökonomischen Ressourcen mehr Macht in der Beziehung hat. Wer finanziell abhängig ist, kann sich demnach weniger gegen Gewalt wehren oder eine Trennung durchsetzen. „Ist die Frau ökonomisch abhängig, sinkt ihr Einfluss – und sie kann sich weniger aus der Situation zurückziehen“, fasst Abramowski zusammen.
Dass Deutschland ein wohlhabendes Land ist, ändert daran wenig. Im Gegenteil: Die nach wie vor häufige traditionelle Arbeitsteilung – Vollzeit beim Mann, Teilzeit oder Minijob bei der Frau – verstärkt oft die Abhängigkeit. „Das macht Frauen in gewaltvollen Partnerschaften zusätzlich verwundbar“, betont die Soziologin.
Kein Kausalitätsbeweis – aber eine klare Botschaft
Die Forscherinnen weisen darauf hin, dass ihre Daten zwar Hinweise, aber keine Beweise für eine ursächliche Verkettung liefern. Ob finanzielle Not Gewalt auslöst, Gewalt die wirtschaftliche Lage verschlechtert oder auch beides erst in Kombination wirkt, lässt sich anhand der Befragung nicht sicher sagen. Dennoch sei der statistische Zusammenhang klar erkennbar: Die Korrelation zwischen ökonomischer Unsicherheit und Gewalt in der Partnerschaft sei deutlich und konsistent. „Auch wenn keine kausale Aussage möglich ist, deutet die Stabilität der Ergebnisse auf einen belastbaren Gesamtzusammenhang hin, der auch in der internationalen Forschung wiederholt beobachtet wurde“, betont Abramowski.
Die Politik ist gefordert
Für die Bremer Wissenschaftlerin ergibt sich daraus ein klarer Auftrag: „Wir müssen die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen stärken, Familien bei finanziellen Engpässen unterstützen und Gewaltprävention enger mit Armutsbekämpfung verknüpfen.“ Dazu gehören aus ihrer Sicht mehr Frauenhausplätze, niedrigschwellige Hilfsangebote und eine bessere finanzielle Absicherung von Betroffenen. Denn beim Schutz von Frauen vor Gewalt versagt der Staat bislang immer wieder.
Dabei zeigt die Studie: Ökonomische Stabilität ist ein wirksamer Schutz vor Gewalt. Wer Armut bekämpft, schützt nicht nur vor materieller Not – sondern auch vor körperlicher und damit zugleich vor seelischer Verletzung.
RiffReporter
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