TikTok und das Skinhead-Revival: Nichts als substanzloses Gebaren?

Moderner Smartphone mit TikTok-App auf dem Bildschirm, symbolisiert Social-Media-Trends und digitalen Lifestyle.

29. September 2025


Auf TikTok inszenieren sich junge Männer unter dem Hashtag .

(Quelle: Screenshot)

Ein Mann erklärt mit sächsischem Akzent auf TikTok, wie man sich die Springerstiefel als Skinhead vernünftig bindet: „Moin meine Kameraden, wir zeigen euch heute, wie man sich die Springer bindet, wie in der Schule.“ Das Tutorial hat inzwischen über 500.000 Aufrufe, 30.000 Likes mehr als 500 Kommentare. Unter dem Hashtag , finden sich Hunderte ähnliche Clips: junge Männer, meist unter 20, die in Camouflage-Hosen, Bomberjacken und Fred Perry Polohemden als rechtsextreme Skinheads posieren. Sie inszenieren Härte, Kameradschaft und Männlichkeit.

Die TikTok-Boneheads greifen auf eine Subkultur zurück, die in England begann: die Skinheads. Rasierte Köpfe, Springerstiefel, Bomberjacken, Poloshirts, weiße Hosenträger, allesamt Codes, die als Erkennungszeichen und früher als Chiffren galten. Unlängst distanzierten sich Marken wie Fred Perry, Lonsdale oder Doc Martens von den frühen Assoziationen, doch junge TikTok-Extremist*innen holen sich die Marken zurück.

Um das Revival besser zu verstehen, lohnt der Blick zurück. Die Skinhead-Bewegung entstand gegen Ende der 1960er Jahre in Großbritannien als multikulturelle Arbeiterjugendkultur. Mit der Windrush-Generation, die ab 1948 zahlreiche Menschen aus der Karibik nach Großbritannien brachte, entstand in vielen Vorstädten ein Schmelztiegel aus britischer Arbeiterklasse und jamaikanischen Communitys. In den prekarisierten Vierteln, wo Wohnraum knapp war und sich Freizeit in Pubs und Tanzlokalen abspielte, trafen junge Briten auf jamaikanische Gleichaltrige. Besonders prägend waren die sogenannten Rude Boys, junge Jamaikaner, die in den 1950er und 60er Jahren im jamaikanischen Kingston eine rebellische Subkultur begründet hatten. Ihr Stil: schmale Anzüge, spitze Schuhe, Sonnenbrillen, eine freche Attitüde. Der Rude-Boy-Look war Ausdruck von Widerstand gegen Marginalisierung, verbunden mit den Rhythmen von Ska und Rocksteady.

Britische Jugendliche übernahmen Elemente dieses Stils, die Liebe zu Ska und Reggae, die Vorliebe für kantige Outfits, die antiautoritäre Haltung. So setzten sie ein bewusstes Zeichen gegen die Hippie-Kultur, die als Establishment und Teil des weißen Mittelstands rezipiert wurde. Statt bunter, fließender Stoffe trugen Skinheads Arbeitskleidung, funktionale Doc Martens-Stiefel, robuste Jeans, Baracuta-Harrington Jacken, einfache Fred Perry oder Ben Sherman Baumwollhemden. Für die jungen Skinheads symbolisierte die Kleidung Arbeiterstolz und Bodenständigkeit.

Mit dem wirtschaftlichen Niedergang, Massenarbeitslosigkeit und sozialen Spannungen in den britischen Vorstädten in den 1970ern geriet die Szene zunehmend unter Druck. In den Clubs konkurrierten Ska und Reggae bald mit der aufkommenden Oi!- und Punk-Musik, die direkter, aggressiver und stärker auf die Wut der Arbeiterjugend zielte. In den 1980er Jahren, unter Margaret Thatcher, verschärften sich diese Konflikte und ideologischen Differenzen. Der wirtschaftliche Umbau des Landes traf die britische Arbeiterklasse besonders hart: Fabriken schlossen, der Kahlschlag auf dem Arbeitsmarkt, verbunden mit Perspektivlosigkeit und Prekarisierung, prägte das Vereinigte Königreich. Ein Teil der Skinhead-Szene driftete in den Rechtsextremismus ab. Dort fanden sie einfache Antworten auf komplexe Probleme, nämlich Gewalt, Militanz und Menschenfeindlichkeit.

Vom Ausdruck einer multikulturellen Arbeiteridentität wurden die Codes zu sichtbaren Markern einer rechtsextremen Subkultur. Bands wie Skrewdriver gaben dieser Entwicklung einen Soundtrack. Unter Führung von Ian Stuart Donaldson, der neben Screwdriver auch das Blood and Honour-Netzwerk für neonazistische Musikdistribution gründete, wurde Musik zum wichtigsten Rekrutierungsinstrument von jungen Menschen. Konzerte fungierten als Treffpunkte, Fanzines und Plattenverkäufe als Netzwerke, die Szene bekam eine ideologische Infrastruktur.

Die Skinhead-Subkultur verbreitete sich bald auch über die Insel hinaus, so gelangten Lifestyle, Musik und Symbole mittels Plattenimporten und Konzerten von britischen RAC- und Rechtsrock-Bands ins europäische Festland. Im Deutschland der 1990er Jahre waren Skinhead- und Blood and Honour-Strukturen Teil des rechtsextremen Milieus, in dem später Mitglieder des NSU aktiv wurden.

Die NSU-„Kameradschaft Jena“ operierte in Thüringen in einem Skinhead-nahen Umfeld, das auch stark von neonazistischer Mobilisierung über Musik und Lifestyle geprägt war. Mitte der 90er gründeten sich Blood and Honour Deutschland und die Jugendorganisation White Youth, die als ideologische Knotenpunkte fungierten.

Der Höhepunkt der Sichtbarkeit für rechtsextreme Skinheads wurde in den 90ern erreicht und geriet im Laufe der 2000er zunehmend ins Abseits. In den 2010er Jahren lässt sich in Deutschland ein Stilwandel beobachten: Viele in der Neonazi-Szene distanzierten sich bewusst vom klassischen Skinhead-Image und suchten nach moderneren Erscheinungsformen. Der Ausdruck „Nipster“ („Nazi-Hipster“) wurde in Medien genutzt, um junge Rechtsextreme zu beschreiben, die Sneaker statt Springerstiefel tragen und weitläufig aus den neurechten Strukturen der Identitären Bewegung kamen. Skinhead-Ästhetiken wurden in vielen urbanen Kontexten der 10er Jahre zunehmend als Klischee provinzieller „sozial Abgehängter“ belächelt und stigmatisiert. Entsprechend wurde es lange still um die Subkultur, abseits von Nischen.

Aktuell erleben rechtsextreme Skinheads jedoch ein Revival, allerdings nicht in Konzerthallen, sondern auf TikTok. Unter Hashtags wie , , #💀head, oder generell unter finden sich unzählige Clips von Jugendlichen, fast ausschließlich männlich, die ihre nagelneuen Boots in die Kamera halten, das Rasieren der Glatze Schritt für Schritt vormachen oder in Tutorials erklären, welche Markenklamotten dazugehören und welche nicht.

Die TikTok-Skin-Ästhetik wird durch Tutorials, Outfit-Checks und andere konsumfreundliche Content-Formate massenhaft normalisiert und ihre Reichweite von der Plattform algorithmisch belohnt. Genau diese Substanzlosigkeit ist ihr Erfolgsrezept: Sie nutzt die bewusste inhaltliche Leere bei gleichzeitiger affektiver Übersteuerung gezielt, um zu rekrutieren. Anders ausgedrückt: Die Hemmschwelle sinkt, je öfter sich solche Bilder reproduzieren. Sobald der Algorithmus einmal darauf trainiert ist – oft reichen dafür schon zwei Videos –, entsteht eine Endlosschleife ähnlicher Inhalte. Hinter vermeintlich „gut gemeinten“ Tutorials und Outfit-Inspirationen steckt eine kalkulierte Rekrutierungsstrategie, die einsamen Jugendlichen eine Ausflucht aus der Isolation über das Versprechen von „Bruderschaft“, „Kameradschaft“ und vorgegaukelter Struktur anbietet. Dabei werden Jugendliche von Kadern oder rechtsextremen Creator*innen in Kommentarspalten in Gespräche verwickelt, via Privatnachricht mit dem „Angebot Rechtsextremismus“ vertraut gemacht und schließlich in geschlossene Strukturen auf Discord oder Telegram weitergeleitet. Somit fungieren die TikTok-Boneheads als Schaufenster der extremen Rechten – und sind bei aller augenscheinlichen Substanzlosigkeit ein ideologischer Brandbeschleuniger.

Was hat das alles noch mit Skinhead-Subkultur zu tun? Nicht viel. Das heutige rechtsextreme Phänomen auf TikTok ist weniger Ausdruck einer gelebten Subkultur als ein algorithmusgesteuerter Mikrotrend, der historische Bezüge ausblendet und durch Pose, Uniformierung und Ästhetik ohne Substanz ersetzt. Was transportiert wird, ist kein gewachsener kultureller Kontext, sondern ein verflüssigtes Gefühl von Wut und Hass, das sich beliebig auf andere projizieren lässt: auf LGBTQIA-Personen, auf Frauen, auf Menschen mit Migrationshintergrund.

Damit ist TikTok-Boneheads ein viraler Container für Feindbilder. Und das merkt man auch in den Kommentaren, in denen es lediglich um die Ästhetik geht. Statt Oi!-Punk oder Rechtsrock läuft in den Videos verzerrter Gabber oder Techno, Hauptsache Sound mit martialischer Wucht. Auffällig ist auch, dass die Ästhetik fast ausschließlich männlich auftritt. Frauen tauchen selten als „Skins“ auf, tragen keine Hosenträger oder Chelsea-Haarschnitte, sondern sind feminin inszeniert: langes Haar, schweres Make-up oder gar als Tradwife. Das Revival ist hypermaskulines Gebaren, der Körper als Waffe inszeniert und Outfit als Panzer begreift.

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