7. October 2025
Einer der besten Anreize für Integration ist die Aussicht auf Staatsbürgerschaft. Von der Ampel wurden die Einbürgerungsfristen von 8 Jahre auf 5 reduziert. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, bei besonderen Integrationsleistungen bereits nach 3 Jahren die Staatsbürgerschaft beantragen zu können. Diese Option will die Bundesregierung wieder abschaffen, obwohl die Hürden bereits so hoch sind, dass sehr wenige Menschen davon Gebrauch machen. In der Außenkommunikation unterscheidet sich Dobrindts Rhetorik kaum mehr von der AfD.
Morgen soll im Parlament über einen neuen Gesetzesentwurf abgestimmt werden: die Bundesregierung will die sogenannte „Turbo-Einbürgerung“ wieder abschaffen. Eingeführt wurde die Möglichkeit, schon nach drei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, von der Ampel-Regierung 2024. Doch die Hürden sind hoch und zahlreiche Bedingungen müssen erfüllt werden. Die Checkliste umfasst 1. Deutsch auf C1 (!) – Level, 2. eigener Lebensunterhalt, 3. besonders gute Leistungen in Beruf oder Schule oder ehrenamtliches Engagement und 4. seit mindestens drei Jahren in Deutschland. ALLE Punkte müssen erfüllt sein.
Nicht nur an der Migrationspolitik der Ampel gab es einiges zu kritisieren (wie beispielsweise hier und hier und hier). Doch nicht alles war schlecht. Über das Chancen-Aufenthaltsrecht erhielten beispielsweise bereits 76.000 Migrant:innen (Stand Mitte 2024) die Chance zu einer dauerhaften Bleibeperspektive. Ein echter Erfolg nach jahrelanger Duldungs-Katastrophe. Und auch die Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft schon nach drei Jahren zu erhalten, ist eine gute Sache. Denn die Aussicht auf Staatsbürgerschaft ist die beste Integrationsmaßnahme. Nun sagt die Bundesregierung: weg damit. Drei Gründe, warum wir das kritisch sehen.
Grund 1: Staatsbürgerschaft ist beste Integrationsmaßnahme
Zunächst einmal: was meint man eigentlich mit „Integration“? Darüber gibt es je nach Einordnung auf dem Parteienspektrum natürlich andere Vorstellungen, wie du dir denken kannst. Der Gesetzentwurf zur geplanten Abschaffung der „Turbo-Einbürgerung“ kommt federführend aus dem Innenministerium und hat somit einen eindeutig konservativen Anstrich. Im Gesetzentwurf heißt es vage: „Integration ist ein individueller Prozess, der eine Identifikation mit dem Gemeinwesen und eine Werteverinnerlichung beinhaltet“ (S. 6).
Wissenschaftliche Debatten über Integration finden schon sehr lange statt und haben sich selbstverständlich gewandelt und weiterentwickelt. Während früher das Verständnis vorherrschte, Neuankömmlinge müssten sich im Aufnahmeland assimilieren und das Eigene komplett aufgeben, wird derzeit viel zu Transnationalismus geforscht. An dieser Stelle können wir natürlich nicht alle vorherrschenden Debatten und berechtigte Kritik über den Begriff der Integration beleuchten, aber ich denke, auf eine vereinfachte Formel können sich viele einigen. Integration braucht Anstrengungen von beiden Seiten. Gesellschaft und Politik dürfen jedoch strukturelle Ungleichheiten und Diskriminierungen, die in Deutschland leider Realität sind, nicht übersehen.
Zurück zum Gesetzentwurf: Die Union begründete die Abschaffung der „Turbo-Einbürgerung“ als notwendig, da man den Eindruck erweckt hätte, der deutsche Pass würde „in einer Art Sonderangebot“ vergeben. Außerdem müsste die Einbürgerung „am Ende eines Integrationsprozesses“ stehen und „nicht am Anfang“. Denkt Dobrindt allen Ernstes, man stünde am Anfang eines Integrationsprozesses, wenn man Deutsch auf C1-Niveau beherrscht?
C1-Niveau hat man nicht mal nach dem Abi
Denn ein C1-Level auf Deutsch ist verpflichtende Voraussetzung für einen Einbürgerungsantrag nach drei Jahren. Aber wie gut muss man eine Sprache können, um auf C1-Niveau zu sein? In aller Regel erreicht man mit einem deutschen Abitur Englisch auf B2-Niveau, sprich nach sechs Jahren Schulenglisch. Das C1-Niveau in einer Sprache ist erreicht, wenn folgende Punkte erfüllt sind:
„Kann ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen und auch implizite Bedeutungen erfassen. Kann sich spontan und fließend ausdrücken, ohne öfter deutlich erkennbar nach Worten suchen zu müssen.” Und: „Kann die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen Leben oder in Ausbildung und Studium wirksam und flexibel gebrauchen. Kann sich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern und dabei verschiedene Mittel zur Textverknüpfung angemessen verwenden.”
Grundsätzlich gilt, dass der Sprung vom B2 auf das C1-Niveau noch einmal eine große Übungs- und Kraftanstrengung erfordert, da unter anderem erwartet wird, dass das Vokabular deutlich größer ist. Es gibt nur noch eine höhere Stufe, nämlich C2 als Muttersprache-Level.
Zusammengefasst: es ist crazy schwer, Deutsch auf C1 zu beherrschen – vor allem, wenn die Muttersprache Arabisch, Farsi, Urdu, Russisch oder eine andere Sprache ist, die kein lateinisches Alphabet verwendet. Und C1 ist ja nicht einmal die einzige Voraussetzung für vorzeitige Staatsbürgerschaft. Außerdem müssen Antragstellende ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten (aka genug verdienen) und zusätzlich besonders gute Leistungen oder ehrenamtliches Engagement zeigen. Steht eine Person, die all diese Voraussetzungen erfüllt, wirklich am Anfang eines Integrationsprozesses, Herr Dobrindt?
Unterschiedliche Ansichten: Abstand zum Aufenthaltsrecht
Ein weiteres Argument der CDU zur Abschaffung der vorzeitigen Einbürgerung ist ein migrationsrechtliches. Die Union argumentiert, durch die Option zur Einbürgerung nach drei Jahren würde nicht genug Abstand zum Aufenthaltsrecht gewahrt. Was ist damit gemeint?
Gemäß Aufenthaltsgesetz § 9 erhält man eine reguläre Niederlassungserlaubnis (unbefristeter, dauerhafter Aufenthaltstitel) nach 5 Jahren, wenn man seinen eigenen Lebensunterhalt bestreitet und 60 Monate lang Beiträge zur Rentenversicherung geleistet hat (plus weitere Voraussetzungen). Für Fachkräfte gilt § 18c AufenthG, nach dem man bereits nach 3 Jahren die Niederlassungserlaubnis erhält (wenn man 36 Monate Beiträge gezahlt hat). Was die Bundesregierung im Gesetzentwurf nicht schreibt: Man braucht für eine Niederlassungserlaubnis „nur“ Deutsch auf B1-Niveau, für Flüchtlinge kann A2-Niveau reichen.
Es ist also erstens wichtig, dass im Fall von Fachkräften, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Niederlassungserlaubnis nach 3 Jahren erhalten können, der Abstand zum Aufenthaltsrecht gewahrt zu sein scheint. Zweitens kann man darüber streiten, ob nun an die vorzeitige Einbürgerung nach 3 Jahren mit C1-Niveau Deutsch oder an die Niederlassungserlaubnis nach 5 Jahren mit B1-Niveau höhere Voraussetzungen geknüpft sind.
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration begrüßt die Abschaffung der „Turbo-Einbürgerung“. Der Bundesrat hingegen lehnt die Abschaffung ab. Dem Gesetzentwurf muss der Bundesrat aber nicht zustimmen, das Gesetz würde verabschiedet werden, wenn es dafür eine Mehrheit im Bundestag gibt.
Je früher Staatsbürgerschaft, desto besser
Der niederländische Politologe Maarten Vink hat 2017 untersucht, wie sich das Staatsbürgerrecht auf die Integration auswirkt. Sein Ergebnis: Je eher Migrant:innen eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis oder die Staatsbürgerschaft erhalten, umso motivierter sind sie, in ihre Zukunft zu investieren. Vor allem was die wirtschaftliche Integration angeht, kann die Aussicht auf Staatsbürgerschaft positive Auswirkungen haben. In den Jahren vor der Einbürgerung (und mit Aussicht auf diese) wurden in einer Studie die stärksten Einkommenszuwächse verzeichnet. Offenbar, weil Migrant:innen noch motivierter waren, in ihre Ausbildung zu investieren. Migrationsforscher:innen kommen zu dem eindeutigen Schluss, dass der Weg zur Staatsbürgerschaft die beste Integrationsförderung ist.
Es ist ja auch logisch: Wer jahrelang in der Duldung lebt und nicht weiß, ob eine mögliche Abschiebung droht, investiert weniger gerne in seine persönliche Zukunft. Migrationsforscher Hein de Haas geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt:
„Migration und Integration sind weitgehend autonome soziale Prozesse, die größtenteils unabhängig von den Reden und Maßnahmen von Politikern ablaufen“ (De Haas, 2023, S. 214). Konkrete Wege zur Staatsbürgerschaft aufzuzeigen, sei ihm zufolge das Beste, was der Staat in Sachen Integrationspolitik machen kann.
Grund 2: Es haben wenig Leute bisher davon Gebrauch gemacht – warum also abschaffen?
Kommen wir zu Grund zwei, warum die Abschaffung der „Turbo-Einbürgerung“ aus unserer Sicht keinen Sinn ergibt. Eben weil die Hürden so hoch sind, haben bisher wenig Migrant:innen davon Gebrauch gemacht. Eine Abfrage des ARD-Hauptstadtstudios zeigt, dass seit Inkrafttreten des Ampel-Gesetzes 2024 in Berlin bisher 573 Personen nach drei Jahren Aufenthalt eingebürgert wurden (rund 1 % aller Einbürgerungen). In Bayern waren es 78 Personen, in Baden-Württemberg 16. Und in den restlichen Bundesländern (sofern es Zahlen gibt) jeweils weniger als 10.
Die Zahlen sprechen für sich und beweisen, dass es den deutschen Pass eben nicht „im Sonderangebot“ gibt, wie von Dobrindt behauptet. Denn wenn die deutsche Staatsbürgerschaft tatsächlich zu leicht zu bekommen wäre, wie von der Union impliziert, wieso machen dann so wenig Menschen davon Gebrauch?
Selbst wenn mehr Menschen in Zukunft von der Option Gebrauch machen würden (sollte das Gesetz nicht verabschiedet werden): was wäre daran so schlimm? Dass es mehr Deutsche gäbe, die brav und fleißig in die Staatskassen einzahlen und dabei noch was für die Gesellschaft tun? Genau das ist es doch, was die Union will, oder etwa nicht? Klar, der „Einbürgerungs-Stau” ist real und oftmals kommen die Städte mit der Bearbeitung der Anträge nicht hinterher. Doch viele Städte setzen auch schon Lösungsansätze um: mehr Digitalisierung, mehr Personal. Mehr noch: mit den wenigen Einbürgerungsanträgen nach drei Jahren hat diese Option zur Staatsbürgerschaft wohl nicht viel Einfluss auf den „Einbürgerungs-Stau“ gehabt.
Fehlende Digitalisierung in der Verwaltung gibt es übrigens nicht erst seit der „Turbo-Einbürgerung”. Für Versäumnisse, die die Politik selbst verbockt hat, immer wieder Migrant:innen verantwortlich zu machen, sollte eigentlich nicht mehr zu einem verantwortungsbewussten Politikstil dazugehören.
Grund 3: AfD-Sprech wird übernommen
Und damit kommen wir auch zum dritten Grund, warum der Gesetzentwurf rückschrittlich ist, denn: Der AfD wird in Sachen Migrationspolitik mal wieder nachgegeben. Die gesichert rechtsextreme Partei verwendet den eindeutig rassistischen Begriff „Pass-Deutsche“, um zwischen Menschen mit und ohne Migrationsbiografie zu unterscheiden. Mehrere Aussagen von AfD-Politiker:innen mit dem Begriff haben es in das Verfassungsschutzgutachten geschafft.
Die AfD-Fraktionsvorsitzende in Bayern, Katrin Ebner-Steiner, hetzt, die deutsche Staatsangehörigkeit würde „verscherbelt“ werden. Sie möchte gar, dass Bayern alle Einbürgerungen ab 2015 überprüft und gegebenenfalls aberkennt. Ob „verscherbelt“ oder „im Sonderangebot” – wo ist da noch der Unterschied in der Sprache? Genau aus dem Grund ist es unserer Meinung nach ein fatales Signal, in der Außenkommunikation des Gesetzentwurfs AfD-Sprech zu übernehmen und ein fortschrittliches Gesetz wieder auszuhöhlen.
Warum nicht mal fortschrittlich sein?
Es stimmt: Die Möglichkeit, bereits nach 3 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, ist im Vergleich sehr fortschrittlich. Aber wieso kann Deutschland nicht mal fortschrittlich sein? Die Hürden sind super hoch – wenn du’s ausprobieren willst, dann versuch gerne mal, Arabisch in 3 Jahren auf C1-Niveau zu lernen. (Und dir gleichzeitig einen Lebensunterhalt in einem neuen Land aufzubauen und dich sozial zu engagieren, aber lassen wir das mal außen vor). Vor allem Innenminister Dobrindt (CSU) nähert sich in seinen Versuchen, das Gesetz zu rechtfertigen, immer mehr AfD-Rhetorik an. Und das ist brandgefährlich.
Wir halten also fest: Eine rasche Aussicht auf Staatsbürgerschaft ist die beste Integrationsmaßnahme, die die Regierung machen kann. Die Anforderungen für die Staatsbürgerschaft nach drei Jahren sind sehr, sehr hoch. Wer dafür einen Antrag stellen kann, ist bereits sehr gut integriert. Eben weil die Anforderungen hoch sind, werden wenige Anträge gestellt – von einem hinterhergeworfenen Pass kann keine Rede sein.
Artikelbild: Fernando Gutierrez-Juarez/dpa & Peter Kneffel/dpa