So wenig Einfluss hat die Bundesregierung auf sinkende Asylzahlen

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8. October 2025

Seit dem Antritt der neuen Bundesregierung brüstet sich vor allem Innenminister Dobrindt (CSU) damit, dass in Deutschland weniger Asylanträge gestellt werden und die Asylzahlen sinken. Doch seine vermeintliche „Asylwende“ – Grenzkontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen – hat damit herzlich wenig zu tun. Auch dieses Mal sind es vor allem geopolitische Stellschrauben, die dazu führen, dass derzeit weniger Geflüchtete nach Europa kommen. Allen voran: Assads Sturz in Syrien.

Dass Assad nicht mehr seine Schreckensherrschaft ausübt und dadurch nur noch wenige Syrer:innen sich auf den Weg nach Europa machen, ist genauso wenig Dobrindts Zutun wie wenn ich morgen zufällig einen Sechser im Lotto hätte. Doch das zuzugeben liegt Dobrindt natürlich fern – seine vermeintlichen „Migrationserfolge“ sähen dann schon ganz anders aus. Es stellt sich heraus: Immer härtere Migrationspolitik führt zwar zu immer mehr Unmenschlichkeit, aber nicht zu sinkenden Asylzahlen. 

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Flüchtlingsbewegungen von Konflikten abhängig

Schauen wir, um die Mechanismen von Fluchtmigration besser zu verstehen, kurz auf das große Ganze. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Die Zahl der weltweit Vertriebenen sinkt und steigt mit gewalttätigen Konflikten. Wichtig: nach dem Ende einer Krise sinken die Zahlen auch wieder – doch darüber wird weniger berichtet, was dazu führt, dass wir denken, dass die sogenannte „Flüchtlingskrise“ immer größer werden würde. In folgender Grafik siehst du, wie sich die Zahl von weltweit Vertriebenen seit 1962 entwickelt hat und welche Krisen zu einem Anstieg der Vertriebenenzahl führten (wichtig: hier nur eine Auswahl!). 

Wenn du jetzt richtigerweise sagst: „Moment mal, aber es werden ja immer mehr Menschen weltweit vertrieben“, dann sind zur Interpretation der UNHCR-Zahlen folgende Infos sehr wichtig. Erstens: UNHCR begann 1951, ein Jahr nach seiner Gründung, mit der Erhebung von Flüchtlingsdaten. Nur 21 Länder flossen in diesem Jahr in die Statistik ein. 2018 waren es 2016 Länder – einfach, weil das UNHCR nach und nach immer mehr Zahlen auswertete. Zweitens: das UNHCR nimmt immer neue Kategorien von Vertriebenen in die Statistik mit auf. Ein Beispiel: die Kategorie „other people in need of international protection“, also andere Personen, die internationalen Schutz benötigen (und weder in die Flüchtlings- noch in die Asylsuchenden-Kategorie fallen), wird erst seit 2018 erhoben, was zu einem erneuten Anstieg der Zahlen führt. Wer tiefer in das Thema einsteigen will, kann hier oder hier weiterlesen.

Auch der historische Blick auf Asylanträge, die in Deutschland gestellt wurden, belegt diese Beobachtung. Während es beispielsweise 1992 zu einem Anstieg kam aufgrund des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des zerfallenden Jugoslawiens, sanken die Asylzahlen im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wieder. Der Anstieg 2015/16 ist auf den syrischen Bürgerkrieg zurückzuführen. Da ukrainische Flüchtlinge keine Asylbewerber:innen sind, ist ihre Ankunft in Deutschland seit 2022 nicht in der Statistik zu sehen. 

Asylzahlen gehen in ganz Europa zurück

Nicht nur in Deutschland sinken derzeit die Asylanträge, sondern europaweit. Kritiker:innen würden jetzt sagen, „nun gut, es gibt ja auch fast europaweite Grenzkontrollen mittlerweile”. Das ist richtig. Dennoch betonen Migrationsforscher:innen seit Einführung der Grenzkontrollen, dass diese zwar kostenintensiv und belastend für die Bundespolizei sind und unsere Wirtschaft erheblich schwächen – doch Geflüchtete weichen einfach auf die „grünen” Grenzen aus. 

Der Mediendienst Integration sieht mehrere Gründe für den Rückgang der Asylanträge und nennt dabei als Hauptgrund ebenfalls den Rückgang an syrischen Asylsuchenden. Daneben nennt das Portal strenge Grenzkontrollen entlang der Westbalkan-Route und an der polnisch-belarusischen Grenze sowie die gewaltsame Unterdrückung von Fluchtmigration in Tunesien

Rückgänge schon seit 2023 unter der Ampel

Ein weiterer wichtiger Aspekt, den Dobrindt in der Verbreitung seines Narrativs, er hätte die „Asylwende“ herbeigeführt, gerne unter den Tisch fallen lässt: die Asylanträge in Deutschland sinken schon seit 2023. In folgender Grafik siehst du die Zahl der Asylerstanträge in Rot. In Beige werden die Asylfolgeanträge sichtbar. Von einem Folgeantrag spricht man, wenn ein/e Asylbewerber:in nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt.

Zeitlich einher gehen sinkende Ankünfte von Schutzsuchenden via den Haupt-Fluchtrouten nach Europa. 

Syrien nicht mehr auf Platz 1 

Dass weniger Syrer:innen ihre Heimat verlassen, zeigt auch der Blick auf die Liste der Top-10-Asylherkunftsländer in Deutschland. Während 2024 Syrien noch auf Platz 1 war, wurde es dieses Jahr (Zeitraum von Januar bis August) von Afghanistan überholt. Vielleicht wunderst du dich über die geringe Schutzquote. Das liegt daran, dass seit Dezember 2024, also dem Sturz Assads, sogenannter „Verfahrensaufschub für Entscheidungen über Asylanträge syrischer Staatsangehöriger“ gilt.

Fazit: Asylzahlen hängen vor allem von Krisen in Herkunftsländern ab

Migrationsforscher Schammann betonte im Interview mit der Tagesschau, worum es eigentlich in der Migrationspolitik gehen sollte:

„Wenn Kriege und Krisen entstehen, sind Menschen gezwungen zu flüchten. Die Hauptbotschaft in der aktuellen Debatte sollte deshalb sein, dass eine hundertprozentige Steuerung von Migration nicht funktionieren kann. Diesen Mut, sich das einzugestehen, sollte man haben. In rechtspopulistischen Kreisen dreht sich vieles darum, am Beispiel der Migrationspolitik zu zeigen, dass die liberale Demokratie am Ende ist und der Staat scheitert. Wenn man jetzt verspricht, vollständig zu regulieren und zu steuern, dann wird das Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten sein.

Wir brauchen internationale Lösungen, die über Europa hinausgehen. Wir müssen uns überlegen, wie man auch einen Teil der Migration legalisieren kann, um Menschen als Arbeitskräften Wege zu eröffnen. Das heißt, es geht doch sehr stark darum, Migration in die richtigen Kanäle zu lenken. Aber das wird Zeit brauchen.”

Auch Migrationsforscher Gerald Knaus erklärte bei Markus Lanz, wie wenig Einfluss deutsche Grenzkontrollen und Zurückweisungen auf die eigentliche Zahl von Asylbewerber:innen haben.

Doch anstatt einfach mal auf die Migrationsforschung zu hören und beispielsweise Fluchtmigration legaler zu gestalten, driftet die Bundesregierung davon immer weiter weg. Seit der schwarz-roten Koalition wurden sowohl der Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten als auch Resettlement-Aufnahmen ausgesetzt. Damit schloss die Bundesregierung zwei wichtige Wege legaler Fluchtmigration nach Deutschland. Wann sich die Migrationspolitik in Deutschland endlich an konkreten Empfehlungen der Wissenschaft orientieren wird, steht in den Sternen.

Stattdessen wird mit Desinformation gearbeitet: Man feiert sich für eine kontraproduktive Migrationspolitik, die viel kostet, unsere Wirtschaft schwächt und die AfD stärkt. Während man vor dem Amtsantritt trotz sinkender Asylzahlen gemeinsam mit den Rechtsextremisten Migrations-Panik verbreitete. Von dieser Desinformation profitiert niemand, Schutzsuchende nicht, die Wirtschaft nicht, nicht einmal die Union selbst. Nur die AfD.

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Artikelbild: Carsten Koall/dpa, Screenshot bpb.

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