Nobelpreis für die Entdeckung der wichtigsten Wächter des Immunsystems

7. October 2025

Nobelpreis für die Entdeckung der wichtigsten Wächter des Immunsystems

Mary Brunkow, Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi fanden heraus, wie das Immunsystem sich selbst kontrolliert und sie lieferten die Grundlage für neue Therapien gegen Autoimmunerkrankungen und Krebs.

von Ulrike Gebhardt5 Minuten

Die mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichneten Forschenden entdeckten die so genannten regulatorischen T-Zellen, die die Körperabwehr kontrollieren und verhindern, dass körpereigenes Gewebe angegriffen wird.

„Mein Telefon klingelte, ich sah eine Nummer aus Schweden und dachte, das ist bestimmt nur irgendeine Art von Spam, also schaltete ich das Telefon aus und schlief weiter“, berichtet Mary Brunkow, die an diesem frühen Montagmorgen ganz offensichtlich nicht mit einem Anruf aus Stockholm gerechnet hatte. Doch ihr Mann erreichte die 64-Jährige schließlich mit der frohen Botschaft: Brunkow, Immunforscherin vom Institute for Systems Biology in Seattle, USA, wird in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie ausgezeichnet. Sie erhält den Preis zusammen mit dem US-Forscher Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi (Universität Osaka) für die „bahnbrechenden Entdeckungen zur peripheren Immuntoleranz, die verhindert, dass das Immunsystem den Körper schädigt“, so das Nobel-Komitee in seiner Begründung.

Die drei Forschenden haben wesentlich zur Identifizierung einer Gruppe von Immunzellen beigetragen, den so genannten Treg-Zellen: Als wichtigste Wächter der Körperabwehr hemmen sie aggressive Aktionen des Immunsystems gegen eigene Zellen (man spricht von autoaggressiv), dämmen Entzündungsreaktionen ein und unterstützen die Reparatur und Regeneration von versehrtem Gewebe.

Es ist das fünfte Mal innerhalb der letzten fünfzehn Jahre, dass die Jury den Preis für Forschungen auf dem Gebiet der Immunologie vergibt – ein deutliches Zeichen dafür, welche zentrale Bedeutung das Wissen um das Immunsystem in der modernen Medizin einnimmt. Die drei Preistragenden teilen sich das Preisgeld von elf Millionen schwedischen Kronen, das sind ungefähr eine Million Euro.

Immunologische Qualitätssicherung durch Treg-Zellen

Die Aktionen des Immunsystems sind außerordentlich kraftvoll: Um eine Infektion einzudämmen, zerstört die Immunabwehr etwa Bakterien oder virusinfizierte Körperzellen. Damit das Ganze nicht aus dem Ruder läuft und der Körper zu sehr Schaden nimmt, verfügen Abwehrzellen über wichtige Fähigkeiten: Sie unterscheiden zwischen „Selbst“ und „Nicht-Selbst“. Gesunde Körperzellen verschonen sie mit ihren Aktionen. Es darf nur das im Körper angegriffen werden, was da nicht hingehört, also etwa von Viren befallene oder auch tumorartig veränderte Zellen. Alles andere und auch harmlose Umweltstoffe, die über die Atemwege und die Nahrung ständig in unseren Körper gelangen, muss die Immunabwehr tolerieren, sonst kommt es zu Autoimmunerkrankungen oder Allergien.

Außerdem muss eine Immunreaktion enden, wenn ein Erreger beseitigt wurde. Für all das sorgt eine Art immunologische Qualitätssicherung: Brunkow, Ramsell und Sakaguchi entdeckten die dafür verantwortlichen Immunzellen, die so genannten Treg-Zellen (Kurzform für „regulatorische T-Zellen“). Sie schütten hemmenden Botenstoffen aus und verhindern so, dass andere Abwehrzellen den eigenen Körper attackieren. „Ihre Entdeckungen waren entscheidend für unser Verständnis davon, wie das Immunsystem funktioniert und warum wir nicht alle schwere Autoimmunerkrankungen entwickeln“, sagt Olle Kämpe, Vorsitzender des Nobelkomitees.

Spezialisten der Balance zwischen Angriff und Toleranz

Treg-Zellen halten das Immunsystem in einer angemessenen Balance zwischen Angriff und Toleranz. Die Forschungen der drei jetzt Ausgezeichneten hätten zu medizinischen Fortschritten bei der Behandlung von Krebs und Autoimmunerkrankungen beigetragen und könnten bei Organtransplantationen hilfreich sein, zitiert die New York Timesdas Preiskomitee. Mehr als zweihundert klinische Studien seien gegenwärtig am Laufen, die auf den Forschungen der drei basieren, sagt der Molekularbiologe Rickard Sandberg vom schwedischen Karolinska-Institut.

Die Entdeckung der Treg-Zellen durch Sakaguchi, Brunkow und Ramsdell

T-Zellen sind eine Gruppe von Immunzellen, die im Thymus, einer kleinen Drüse hinter dem Brustbein, heranreifen. Lange Zeit kannte man hauptsächlich zwei Untergruppen: die cytotoxischen T-Zellen, die virusinfizierte Körperzellen und Tumorzellen abtöten können, und die T-Helferzellen, die zum Beispiel andere Abwehrzellen (B-Zellen) dabei unterstützen, Antikörper herzustellen.

Shimon Sakaguchi von der japanischen Universität Osaka fand in den 1990er Jahren heraus, dass es noch eine andere wichtige Gruppe von T-Zellen gibt; die Treg-Zellen. Bis dahin hatte man angenommen, dass für die immunologische Toleranz – körpereigene und ungefährliche Strukturen werden von der Immunabwehr verschont – allein das Heranreifen und die Ausbildung der T-Zellen in der Thymusdrüse verantwortlich ist. Dort werden autoaggressive T-Zellen aussortiert.

Sakaguchi war überzeugt, dass es neben der Thymusdrüse (für die zentrale Toleranz) noch einen weiteren Sicherungsmechanismus geben muss (für die periphere Toleranz), damit die Immunabwehr nicht überschießend reagiert und vor allem körpereigene, gesunde Zellen verschont. Vor dreißig Jahren veröffentlichte er seine Entdeckung der als Wächter fungierenden Treg-Zellen im Fachmagazin Journal of Immunology.

Brunkow und Ramsdell fanden einige Jahre später heraus, welcher genetische Schalter den Treg-Zellen ihre immunblockierenden Eigenschaften verleiht: Ohne das Protein FoxP3, das als so genannter Transkriptionsfaktor viele andere Gene reguliert, kann der Körper keine Treg bilden. Mutationen im FOXP3-Gen lösten im Experiment an Mäusen autoaggressive Immunreaktionen aus. Bei einer sehr seltenen, vererbbaren Autoimmunerkrankung des Menschen, IPEX, gibt es zu wenig oder überhaupt kein FoxP3 und damit zu wenig oder keine Treg-Zellen: Die betroffenen Kinder sterben innerhalb der ersten Lebensjahre, es sei denn, die fehlerhaften Immunzellen werden mit Hilfe einer Stammzelltransplantation durch intakte Zellen ersetzt.

Treg-Zellen – im Fokus neuer Therapien gegen Autoimmunerkrankungen und Krebs

Die Erforschung der Treg-Zellen könnte Lösungen für zahlreiche medizinische Herausforderungen bieten, wie Autoimmunerkrankungen, Krebs oder Transplantationen.

Bei Autoimmunerkrankungen funktioniert der Treg-Schutz nicht ausreichend. Medikamente die die Wirkung der von FOXP3 gesteuerten Prozesse imitieren, könnten autoaggressive Immunzellen stoppen.

Krebszellen blockieren Immunzellen, die ihnen an den Kragen wollen, auch, indem sie unter anderem Treg-Zellen um sich scharen und so für ihre eigenen Zwecke – das ungehemmte Wachstum – missbrauchen. Als ein bestimmtes Molekül auf tumorinfiltrierenden Treg-Zellen entdeckt wurde, hat das die Entwicklung eines monoklonalen Antikörpers vorangetrieben, der diese hemmenden Treg-Zellen im Tumorgewebe ausschaltet. Der Antikörper soll die Krebszellen wieder angreifbarer für die Immunabwehr machen. Er befindet sich gerade in der klinischen Testphase.

Erforscht wird auch, ob zusätzliche Treg-Zellen im Rahmen von Organtransplantationen mithelfen könnten, dass die Immunabwehr des Organempfängers, das gespendete Organ nicht abstößt.

Eine Behandlung hat es indes längst in die Praxis geschafft, ohne dass der Mechanismus dahinter genau bekannt war. Die Hypo- oder Desensibilisierung, eine Therapie zur Behandlung von Allergien, zielt im Grunde darauf ab, die Anzahl spezieller Treg-Zellen zu erhöhen. Sie sorgen in den Schleimhäuten und oberen Atemwegen dafür, dass die Immunzellen vor Ort eben nicht auf das harmlose Umweltantigen – die Pollen, die Katzenallergene, den Kot der Hausstaubmilbe – reagieren.

Treg-Zellen sind an zahlreichen anderen Prozessen beteiligt. In verletzten Muskeln, im Gehirn und in der Lunge etwa fördern sie die Geweberegeneration. In der Schwangerschaft tragen sie dazu bei, dass das mütterliche Immunsystem die Zellen des Kindes, die ja zur Hälfte vom Vater, also „fremd“, sind, nicht angreift.

In der Haut können Treg-Zellen schmerzhemmende Substanzen, die Enkephaline, freisetzen, die an Opioid-Rezeptoren im Nervensystem binden. In einem Mausmodell für Schuppenflechte fanden US-Forschende vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York kürzlich heraus, dass die Treg-Zellen in der Haut die Krankheitssymptome über mindestens zwei Wege abmildern können: Sie setzen immunhemmende Stoffe frei, die die Entzündungsreaktion herunterfahren, und sie hemmen die Schmerzempfindung.

„Die herausragenden Forschungsarbeiten von Mary Brunkow, Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi zur peripheren Immuntoleranz haben entscheidend dazu beigetragen, zu verstehen, wie das Immunsystem seine Aktivität kontrolliert und Selbstzerstörung vermeidet“, sagt Stephan Ehl, Immunologe am Universitätsklinikum Freiburg. In welchem Umfang sich die auf Balance spezialisierten Treg-Zellen tatsächlich therapeutisch lenken beziehungsweise beeinflussen lassen, wird die Zukunft zeigen.

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RiffReporter
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