2. October 2025
Fühlt ihr euch ohnmächtig gegenüber der Klimakrise, die als zu groß erscheint, als dass einzelnes Handeln einen Unterschied machen könnte? Werdet ihr nachrichtenmüde und schaltet zunehmend ab, wenn es um die großen Krisen dieser Welt geht? Dann könnte dieser Artikel interessant für euch sein.
Denn in Deutschland – genauer gesagt in Hamburg – passiert gerade etwas, was zu einem richtigen Leuchtturmprojekt werden könnte und uns alle aus der Schockstarre befreien könnte. Es geht um ein neues Klimaschutzgesetz, um Formen der demokratischen Teilhabe und wie wir alle Teil davon sein können. Eine Analyse.
Woher kommt unser Ohnmachtsgefühl?
Wir erinnern uns alle noch an die Menschenmassen zur Hochphase der Fridays For Future-Bewegung. Am Klimaaktionstag 2019 standen damals mehr als sechs Millionen Menschen auf den Straßen dieser Welt und forderten Klimagerechtigkeit ein. Immer wieder gab es riesige Demonstrationen in ganz Deutschland. Laut Expert:innen sind besonders die Langzeiteffekte der Klimaprotestbewegung nicht zu unterschätzen. Und auch, wenn die Demonstrationen mittlerweile (auch dank Pandemie) kleiner geworden sind und “das Klimathema” immer weniger Aufmerksamkeit bekommt, sind nachwievor die meisten Deutschen der Meinung, dass der Staat zu wenig macht, um die Klimakrise zu bewältigen. Und naja was soll man sagen… Das stimmt auch.
Der Trend, dass die Klimapolitik keine oberste Priorität darstellt, setzt sich unter der Regierung Merz fort. Noch bevor er sein Amt antrat, behauptete Merz, er sei ein Kanzler, der sich “der umweltpolitischen Verantwortung stellt”. Jetzt fährt er, gemeinsam mit Wirtschaftsministerin Reiche, einen politischen Kurs, der (vom Bau neuer Gaskraftwerke, bis zur Infragestellung unserer Klimaziele) jeglichen Fortschritt zunichtemacht. Eine unfassbar gefährliche Entwicklung für uns alle.
Wahrscheinlich haben die falschen Versprechungen und die zuverlässige Unzuverlässigkeit der Politik, wenn es darum geht, vernünftigen Klimaschutz zu machen, auch Schuld an dem Ohnmachtsgefühl, welches viele Menschen gerade verspüren. Verständlicherweise kann es ermüdend sein, sich immer wieder mit der Bedrohung der Klimakrise auseinanderzusetzen. Vor allem, wenn man das Gefühl hat, dass nötige Schutzmaßnahmen von den Menschen in politischer Verantwortung sowieso nicht angestoßen werden. Wenn man sich trotz riesiger Klimaproteste nicht gehört fühlt und diese Erfahrung über Jahre hinweg immer und immer wieder macht, fühlt man sich irgendwann machtlos. Doch das darf nicht passieren. Denn es gibt Möglichkeiten zum Handeln, wir müssen sie nur erkennen. Genau hier setzt der “Hamburger Zukunftsentscheid” an.
Was ist der Hamburger Zukunftsentscheid?
In Hamburg kann gerade die Bevölkerung bei einem Volksentscheid über ein neues Klimaschutzgesetz abstimmen. Dieses neue Rahmengesetz wurde von der Initiative “Hamburger Zukunftsentscheid” zusammen mit Wissenschaftler:innen erstellt und stützt sich laut eigenen Aussagen auf “die Expertise von Wissenschaft, Wirtschaft, von Sozialverbänden und den zuständigen Hamburger Behörden”. Laut Initiative ist man schon seit Juni 2023 mit der Vorbereitung des Zukunftsentscheids beschäftigt. Dass sich hier Expert:innen zusammengesetzt haben, um Hamburg möglichst zukunftsfähig zu machen, bestätigt auch ein Gutachten der Hamburger Umweltbehörde. Es zeigt, dass das geforderte Ziel eines klimaneutralen Hamburgs bis 2040 zwar ambitioniert, aber realistisch umsetzbar wäre.
Würde das Rahmengesetz gewählt werden, würde das unter anderem bedeuten, dass es jährliche, verpflichtende Zwischenziele in Form von Co2-Budgets geben würde. Eine Maßnahme, die mehr Zuverlässigkeit im Klimaschutz und mehr Planbarkeit für die Hamburger Wirtschaft bedeutet. Mehr über die Inhalte des Gesetzes könnt ihr hier erfahren. Besonders spannend ist neben der inhaltlichen Komponente des Zukunftsentscheids allerdings der Blick auf die aktivistische. Denn der Volksentscheid als demokratisches Werkzeug hat Potenzial und insbesondere der Hamburger Zukunftsentscheid kann als gutes Vorbild für integrativen und motivierenden (!) Aktivismus in diesen schwierigen Zeiten gelten.
Hier gibt es den Artikel in Kurzform als Video:
Warum könnte der Zukunftsentscheid ein Vorbild für neue Wege aus der Ohnmacht sein?
1. Niedrigschwellige Handlungen
Das Konzept des Zukunftsentscheids ist so ausgelegt, dass möglichst unkompliziert möglichst viele Menschen mitmachen können. Denn es gibt eine große Herausforderung, die gemeistert werden muss. Damit der Zukunftsentscheid und damit das vorgelegte Klimaschutzgesetz durchgeht, muss sich die Mehrheit der Hamburger:innen via abgegebene Stimme dafür entscheiden. In Zahlen bedeutet das, dass die Initiative rund 265 TAUSEND Ja-Kreuzchen von allen Wahlberechtigten (bei Volksentscheiden kann man schon ab 16 wählen) braucht.
Um diese riesige Menge an Menschen zu motivieren, per Briefwahl abzustimmen oder am 12. Oktober in ein Wahllokal zu gehen, braucht es also einen großangelegten Wahlkampf. Denn: Die Menschen müssen erstmal vernünftig informiert werden. Und hier kommen die niedrigschwelligen Handlungsmöglichkeiten ins Spiel. Flyer verteilen, Haustürwahlkampf machen, die eigene Wohnung als Lagerort für die Materialien anbieten, mit Menschen im eigenen Umfeld sprechen, Aufsteller anbringen…
Die Initiative hat immer wieder dazu aufgerufen, dass man sich an dieser Arbeit beteiligen kann. Und zwar so viel (oder so wenig) man möchte und einrichten kann. Für diese Teilhabe muss man also weder Klima- noch Aktivismusexperte sein. Im Gegenteil: Laut Pressesprecherin der Initiative, Lou Töllner, versuche man alles, um den Einstieg möglichst leicht zu machen. Die sich neu engagierenden Menschen müssten nur dazukommen und mitmachen, während die organisatorische und bürokratische Arbeit von dem breiten Netzwerk an bereits erfahrenen Aktivist:innen übernommen wird.
Vorbereitung auf Volksentscheid war schon erfolgreich
Dabei kann die Bewegung den Fortgang und die kleinen und großen Erfolge des Wahlkampfes in Echtzeit beobachten. Mittels eines Online-Tools werden alle Aktionen organisiert und in einer Online-Karte wird festgehalten, wo schon Haustürwahlkampf gemacht wurde, wo Aufsteller stehen und wo die Info-Materialien lagern. Diese einfache Organisierung und Festhaltung der bisherigen Arbeit trägt zur Motivation der Aktivist:innen bei. Laut Töllner wurden so von über hundert Personen an einem Tag über achttausend Aufsteller in der Stadt aufgebaut.

“Wir würden nicht so viel Arbeit in das Projekt stecken, wenn wir nicht glauben würden, dass es erfolgreich sein könnte”, sagt Töllner dem Volksverpetzer. Dass die bisher gefahrene Taktik der gemeinsamen Mobilisierung der Bevölkerung erfolgreich sein kann, zeigte sich übrigens schon in der Vorbereitung auf den Volksentscheid. Der gingen die gelungenen Kampagnen für eine Volksinitiative und ein Volksbegehren voraus, in denen bereits 23 tausend und dann nochmal 106 tausend Unterschriften gesammelt wurden.
2. Die Gesellschaft kommt zusammen
Ein weiterer Aspekt, der für den Zukunftsentscheid als Vorbild für zukünftiges demokratisches Engagement spricht: Die Initiative konnte ein breites Bündnis aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Akteuren zusammenbringen. Das Bündnis besteht aus sechzig Sozial-, Umwelt-, und Wirtschaftsverbänden. Von kulturellen Akteuren, wie dem deutschen Schauspielhaus Hamburg oder der Hamburger Kunsthalle über kirchliche Akteure, wie dem Kirchenkreis Hamburg-West/ bis hin zu etlichen Unternehmen… Auch der Hamburger Kultverein St Pauli gehört zu den Unterstützern der Initiative. Insbesondere der Zusammenschluss mit sozialen Akteuren wie der Gewerkschaft verdi und dem Mieterverein zu Hamburg ist gelungen. Das stellt ein wichtiges Signal da, denn es zeigt, dass die Mitte der Gesellschaft zusammenkommt und sich hinter die Forderungen des Zukunftsentscheids stellt. Diese breit aufgestellte Unterstützung wünscht man sich für mehr zivilgesellschaftliche Initiativen. In Hamburg hat es geklappt.
Der wichtigste Leitsatz, den es zu verfolgen gilt, wenn man Menschen hinter einer Bewegung vereinen möchte, ist wohl dieser: Gehe auf sie zu! Deswegen setzt man beim Hamburger Zukunftsentscheid auf die Wirksamkeit des Haustürwahlkampfes. Dass die persönlichen Gespräche an der Haustür Menschen beeinflussen und überzeugen können, zeigen auch Studien. Und die Linke machte den Haustürwahlkampf sogar für ihre “Auferstehung” bei der letzten Bundestagswahl mitverantwortlich. Durch den Haustürwahlkampf erreicht die Initiative auch Menschen, die sich nicht regelmäßig mit dem Klima beschäftigen und bekommt ein Gefühl dafür, welche Aspekte den Hamburger:innen besonders wichtig sind. Und damit kommen wir auch direkt zum dritten Punkt meiner Analyse.
3. Alle Interessen werden berücksichtigt
Die Initiative legte von Beginn an großen Wert darauf, dass alle Interessen berücksichtigt werden und ALLE von dem neuen Klimaschutzgesetz profitieren. Das wurde auch während der noch laufenden Kampagne immer wieder deutlich kommuniziert (zum Beispiel in Pressekonferenzen oder auf Flyern). Konkret bedeutet das laut Initiative, dass die Busse und Bahnen billiger werden und regelmäßiger kommen könnten, dass die Strompreise sinken würden, weil man endlich auf Solarstrom setzen würde, oder das Wohnen hitzeverträglicher und günstiger werden würde, weil man fordert, Gebäudesanierung als Mieterschutz zu verstehen.
Im Mittelpunkt steht somit die Sozialverträglichkeit der Klimaschutzmaßnahmen, was auch durch die Partner in Gewerkschaften und Mietervereinen unterstrichen wird. Damit kann die Initiative beweisen, dass (entgegen aller Behauptungen aus der rechts-konservativen Ecke) soziale Absicherung und Klimaschutz gut zusammen gehen und sich sogar gegenseitig bestärken können. Ein Aspekt, der viel stärker in den Fokus der öffentlichen Debatte übers Klima gerückt werden müsste. Allein schon, um dem weitverbreiteten Verbots-Mythos entgegenzuwirken.
Genau deswegen ist die großaufbereitete und in der ganzen Stadt präsente Initiative des Hamburger Zukunftsentscheids so wichtig. Der Wissenschaftsjournalist Christoph Podewils formulierte es einst treffend:
“Wenn die Leute merken, dass Klimaschutzmaßnahmen dazu führen, dass sie eine wärmere Wohnung haben, weniger Geld für Energie zahlen oder ihr Haus an Wert gewinnt, wächst auch das Verständnis dafür, dass Klimaschutz etwas Positives ist.“
Expert:innen vermuten, dass dieser neue Ansatz der Klimabewegung mehr Aufmerksamkeit bescheren könnte – sowohl in der breiten Öffentlichkeit, als auch in den Medien und der Politik.
4. Klares Ziel vor Augen mit konkreten Folgen für die Menschen
Was es in Krisenzeiten braucht, ist Hoffnung und Zusammenhalt. Gemeinsam mittels demokratischer Werkzeuge auf ein konkretes Ziel hinarbeiten kann genau diese Gefühle hervorbringen. Damit zeigt Hamburg, dass wir vieles selbst in die Hand nehmen können, dass wir immer noch etwas bewirken können. Es gibt so viele Möglichkeiten innerhalb einer Demokratie – sie müssen nur genutzt werden. Das Bedürfnis der Bevölkerung nach mehr Klimaschutz war selten so präsent in der Stadt wie in den letzten Wochen. Das hinterlässt Eindruck. Auch die Politik sieht sich jetzt schon mit den Forderungen des Zukunftsentscheids konfrontiert. Zudem haben viele (auch überregionale) Medien berichtet und laut Töllner sind Menschen aus ganz Deutschland angereist, um beim Wahlkampf mitzuhelfen.
Sollten sie es schaffen, dann könnte der Zukunftsentscheid einen Wendepunkt für das Land darstellen und der Klimabewegung neuen Aufschwung geben. Ein großer Vorteil des Zukunftsentscheids ist, dass es ein ganz klar definiertes Ziel gibt. Es gibt eine konkrete Anzahl an Menschen, die mobilisiert und informiert werden müssen. Und am Ende des Ziels stehen konkrete Forderungen, die verpflichtend von der Politik umgesetzt werden müssen. Das macht den Aktivismus greifbar, es gibt ihm einen klaren Sinn und fördert die Selbstwirksamkeit. Doch ein Volksentscheid ist letztendlich auch nur eine Möglichkeit von vielen, die unsere Demokratie zu bieten hat. Vielleicht kann Hamburg uns lehren, kreativer zu werden und noch mehr Engagement für unsere Demokratie aufzubringen. Schließlich können wir, insbesondere mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen in den USA, dankbar sein, dass wir sie noch haben.
Fazit: Tschüss Klimaohnmacht
Fassen wir zusammen. Der Zukunftsentscheid ist ein von der Wissenschaft mitentwickeltes Konzept, das soziale Fragen mitdenkt und somit eine gute Grundlage für eine lebenswertere und vor allem zukunftsfähigere Stadt liefert. Gleichzeitig kommt die Initiative für das Gesetz von den Hamburger Bürger:innen selbst und wurde in Gemeinschaftsarbeit in einem breiten Bündnis auf die Beine gestellt. Bei der Mobilisierung setzt man auf kleine, unterschwellige Handlungen, bei denen alle Menschen eingebunden werden können.
Aktivistische Handlungen, die diesmal NICHT mit einem wagen Hoffen “jetzt endlich mal erhört zu werden” verbunden sind. Nein, diesmal gibt es ein klares Ziel vor Augen. Ein Ziel, dass endlich verbindliche Klimapolitik bedeuten würde. Damit würden die Hamburger:innen ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen und als Beispiel vorangehen. Das ist pure Selbstwirksamkeit. Und vor allem zeigt es uns in ganz Deutschland, wie wir zusammenkommen und mittels demokratischer Werkzeuge aus der Ohnmacht herausfinden können. Der 12. Oktober könnte erst der Anfang sein.
Artikelbild: Christian Charisius/dpa