29. September 2025
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Blaue Schelle: Die zu wenig erzählten, vielen Niederlagen der AfD
von Thomas Laschyk | Sep. 29, 2025 | Aktuelles
Die AfD verliert derzeit Wahl um Wahl – an diesem Sonntag alle OB-Stichwahlen in NRW, in Brandenburg und auch in Sachsen. Auch in den Wochen zuvor hagelte es Niederlagen. In den Medien entstand aber oft der Eindruck, als stünde die AfD vor dem Durchbruch, eine „blaue Welle“ komme. Wie ich in den letzten Wochen mehrfach gezeigt habe, ist ein großer Teil davon auch medialer Hype.
Blaue Schelle
Wer nur Schlagzeilen über hohe Umfragewerte liest, gewinnt leicht den falschen Eindruck einer „blauen Welle“. In Wahrheit sind die AfD-Kandidatinnen und -Kandidaten bei den jüngsten Wahlen fast überall abgeschlagen. Die große Mehrheit der Wähler lehnt sie immer noch ab. Auch im Osten. Und natürlich ist ihre Stärke gefährlich und kein Grund zur Beruhigung. Doch dieser einseitige Blick hilft ihr nicht nur, er demotiviert viele Menschen, die noch verhindern können, dass diese gesichert rechtsextreme Partei die Macht ergreift. Doch über diese positiven Nachrichten wird zu selten berichtet. Also holen wir das hiermit nach.
Konkrete Zahlen dieses Wahlsonntags belegen das in aller Deutlichkeit: Bei den Oberbürgermeister-Stichwahlen in NRW landete die AfD in allen drei Städten, Gelsenkirchen, Duisburg und Hagen, abgeschlagen auf dem zweiten oder dritten Platz. In Gelsenkirchen erhielt der AfD-Kandidat nur 33,1 % der Stimmen, in Duisburg 21,4 % und in Hagen 28,3 %. Allen dreien standen klare Siege der SPD- oder CDU-Kandidaten gegenüber. Somit stellt die AfD auch nach diesem Wahlgang keinen einzigen Oberbürgermeister in NRW.
Schlappen in Brandenburg
Auch in Brandenburg kassierte die AfD herbe Schlappen. Fast überall am Sonntag mussten AfD-Vertreter in der ersten Runde erhebliche Verluste hinnehmen. So kam in Kolkwitz (Spree-Neiße) der AfD-Kandidat auf lediglich 21,9 % und damit nicht in die Stichwahl. In Herzberg (Elbe-Elster) erhielt ein AfDler 25,4 % (gegenüber 74,6 % für den Amtsinhaber). In Elsterwerda erreichte der AfD-Bewerber nur 20,8 %. Auch in Finsterwalde blieb die Partei mit 19,2 % weit unter einem Sieg.
In Nuthe-Urstromtal landete der Querdenker Rajko Prill mit nur 7,1 % hinter dem Amtsinhaber mit 92,9 %. Richtig gelesen. In Vetschau/Spreewald verlor der von der AfD unterstützte Hans-Olaf Kappelt mit 14,0 %. Und auch in Potsdam-Mittelmark bekamen AfD-Kandidaten keine Chance: In Treuenbrietzen erreichte der AfD-Bewerber Stefan Schwabel nur 9,8 %, in Luckenwalde 13,8 %. Überall gewannen parteiübergreifende oder demokratische Kandidaten, in einigen Fällen bereits im ersten Wahlgang mit klaren Mehrheiten.
In Sachsen zeigte sich ein ähnliches Bild, selbst in einer AfD-Hochburg wie Freiberg. Der dortige AfD-Kandidat Jens Uhlemann kam im ersten Wahlgang nur auf 20,5 % der Stimmen. Damit lag er knapp hinter Christian Pudack (21,4 %); mit 31,5 % lag der Freie-Wähler-Kandidat Preißler deutlich vorne. Über Morddrohungen gegen Pudack hatten wir im Vorfeld berichtet. Diese Ergebnisse sind bemerkenswert, weil die AfD bei überregionalen Wahlen hier noch deutlich stärker war – bei der Bundestagswahl 2025 hatte sie in Freiberg 38,1 % geholt. Der Einzug Pudacks in die Stichwahl zeigt, dass ein klar vom rechten Lager abgegrenzter Kandidat gewinnen kann, auch wenn er im Wahlkampf massiv angefeindet wurde.
Bereits zuvor – quasi nur Niederlagen
Bereits in den Wochen zuvor hatten AfD-Vertreter Niederlagen erlitten: In Potsdam etwa landete der AfD-Spitzenkandidat Said bei der Oberbürgermeisterwahl mit nur 13 % auf Platz fünf. Und im sächsischen Neschwitz musste ein allein auf dem Wahlzettel stehender AfD-Sympathisant bei der Bürgermeisterwahl am 7. September eine symbolische Niederlage hinnehmen. Von 677 gültigen Stimmen entfielen nur 327 auf ihn und er zog seine Kandidatur danach zurück.
Neschwitz: AfD-Sympathisant verliert Wahl – obwohl er allein auf dem Zettel stand
Und es ist nicht einmal der einzige Fall: In Oettersdorf in Thüringen stand auch nur ein AfD-naher Kandidat auf dem Stimmzettel und sonst niemand. Von den 382 gültigen Stimmen fielen aber nur 156 auf ihn. 107 bekam Dirk Kühnel, den die Bürger auf den Zettel geschrieben hatten. Auch in Thüringen ist das möglich. Jetzt gehen die beiden in eine Stichwahl.
Auch in Frankfurt (Oder) erfüllten sich die hochtrabenden Erwartungen der AfD nicht. Zwar schaffte es AfD-Bewerber Wilko Möller dort in die Stichwahl, doch mit 30,2 % der Stimmen im ersten Wahlgang liegt er hinter dem parteilosen Favoriten Axel Strasser (32,4 %). Beide profitierten davon, dass in Frankfurt keine starken Bewerber der traditionellen Volksparteien antreten wollten – die CDU- und SPD-Kandidaten landeten mit 28,8 % bzw. knapp 10 % weit hinten. Dennoch: Die AfD war in den Kommunal,- Europa- und Bundestagswahlen jeweils die stärkste Kraft gewesen.
Überall demokratische Mehrheiten
Das gleiche übrigens auch bei den brandenburgischen Bürgermeisterwahlen in der Woche zuvor: In Nauen und in Wriezen setzten sich AfD-Kandidaten nicht durch, in Nauen kam der von der AfD unterstützte Neonazi nicht mal in die Stichwahl, mit nur 15 %. In Wriezen bekam die AfD nur 27 % – der CDU-Kandidat scheiterte nur knapp an der absoluten Mehrheit. Auch im sächsischen Diehra-Zehren erlebte die AfD ein Wahl-Debakel und ging mit nur 10 % völlig unter.
Und ja, in einigen Gemeinden kam die AfD in die Stichwahlen, sogar auf den ersten Platz: In Eisenhüttenstadt oder Oranienburg. Aber auch dort weit entfernt von absoluten Mehrheiten – oder den Ergebnissen bei der Bundestagswahl. In einem einzigen Fall, in Ohorn, hat ein AfD-Kandidat einen ehrenamtlichen Bürgermeisterposten gewonnen – denkbar knapp – mit nur 12 (!) Stimmen Vorsprung.
Die AfD hat weniger Zustimmung in NRW bekommen – im Vergleich zur Bundestagswahl. In keinem Kreis und keiner kreisfreien Stadt ist die AfD vorne. Es ist immer noch das zweitbeste Ergebnis für die Grünen in NRW. Dieser Blickwinkel verschleiert natürlich die aktuellen Entwicklungen – den starken Abfall der Grünen und den Anstieg der AfD im Vergleich zur letzten Kommunalwahl. Und natürlich ist das eine negative Entwicklung für unsere Demokratie. Aber: Die letzte Wahl war 2020 – als die AfD inmitten der Pandemie ihre geringsten Zustimmungswerte hatte seit 2017!
Warum nicht „AfD verliert im Vergleich zur BTW, Grüne zweitbestes Ergebnis in NRW“?
Hier geht es aber nicht darum, sich das Ergebnis schönzureden. Sondern zu verhindern, dass der Negativity-Bias der Medien die Arbeit für die Faschisten macht – und die Rechtsextremisten motiviert. Und die Demokraten jetzt schon kapitulieren lässt. Was die Medien realisieren müssen: Auch die (noch so kleinen) Erfolge der Demokratie über den Rechtsextremismus haben einen Nachrichtenwert! Und das Bedürfnis bei Rezipierenden nach positiven, konstruktiven, mutmachenden Nachrichten wird in der Medienwissenschaft im Übrigen schon lange festgehalten.
„Demokratiewunder“ in Neschwitz macht Hoffnung
Nachdem wir vom „Demokratiewunder“ in Neschwitz titelten, kommentierten viele, dass dieser Fall ihnen „Hoffnung“ machte. Viele Verteidiger der Demokratie aus allen Parteien von CDU bis Linke möchten nicht, dass Faschisten in Deutschland wieder die Macht ergreifen. Der Rechtsruck der Medien und der Politik lässt viele verzweifeln – auch weil er zweifelsohne zum Erstarken der AfD beiträgt. Und auch, weil unsere Spitzenpolitiker stur Forschung und die Mehrheit der Deutschen hierbei ignoriert.
Viele sehnen sich verzweifelt nach Geschichten, die Mut machen. Und hier versagen unsere Medien systematisch. Und die Geschichten gibt es ja wirklich, im Gegenteil, ich würde sogar sagen, diese spiegeln die Realität besser ab, als die ständigen Wiederholungen des seit Jahren herbeigerufenen, aber ausbleibenden Siegeszuges der AfD. Die AfD kriegt viel (unverdiente) Reichweite geschenkt, ohne ausreichend kritische Einordnung ihrer Lügen – und das macht sie erst stark.
Letztlich zeigt die Gesamtbilanz: Die AfD hat am vergangenen Sonntag wirklich fast überall alles verloren. Diese Niederlagen werden jetzt teilweise entsprechend kommentiert. Der Tagesspiegel sagt zum Beispiel, die „Blaue Welle“ blieb aus und: „Die AfD unterliegt klar, weil die politische Mitte in NRW zusammengehalten hat.“ Aber setzt dann nach mit „Aber gestoppt ist der Siegeszug der AfD damit keineswegs.“ Welcher „Siegeszug“?
Ausgewogene Berichterstattung gegen den Rechtsruck
Dieses Ungleichgewicht in der Berichterstattung ist problematisch, weil es den Eindruck vermittelt, die AfD sei stärker und weiter verbreitet, als es die Realität zeigt. Ein genauer Blick auf die Zahlen offenbart jedoch ein anderes Bild: Überall, wo sich demokratische Parteien und Wähler vereint gegen die Rechtsextremen stellen, verliert die AfD deutlich. Die AfD schafft es einfach nicht, wählbare Kandidaten aufzustellen. Vielerorts sogar gar keine.
Und sehr oft einfach nur waschechte Neonazis, die eben die allermeisten auch immer noch nicht wollen. Die Partei ist gerade vielleicht genauso weit davon entfernt, verboten zu werden, wie die Macht zu ergreifen. Über Letzteres könnte man auch mehr sprechen, denn das Verbot liegt näher, als viele denken. Diese Erfolge des demokratischen Widerstands verdienen mehr Beachtung – gerade weil das Bedürfnis nach positiven, ermutigenden Nachrichten bekanntlich groß ist. Das sollte nicht nur zur Verantwortung der Medien gehören, sondern auch zu ihrer Verantwortung als Demokraten.
Artikelbild: Bernd von Jutrczenka/dpa, Danke an @aushoywoj.bsky.social für das Zusammenstellen vieler Orte, in denen gewählt wurde. Teile des Artikels wurden mit maschineller Hilfe ausformuliert. Wie Volksverpetzer KI verwendet.