1. Oktober 2025
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Bautzen: „Endlösung“ & „Diktatur“ im Kreistag? Landrat trifft sich mit rechtsextremem Straftäter
von Frederik Mallon | Sep. 30, 2025 | Aktuelles
Der Landkreis Bautzen hat alles, was man sich nur wünschen kann: Sorbische Tradition, herrliche Talsperren, einen CDU-Landrat, der sich mit rechtsextremen, verurteilten Straftätern trifft, das Bild vom Treffen stolz im Büro ausstellt und dann Leuten „Spionage“ vorwirft, die dazu kritisch berichten und einen Tag später offenbar im Kreistag von der „Endlösung“ für die Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge spricht, den Saurierpark Kleinwelka mit einer über 15 Meter hohen Plastik eines Brachiosaurus – Moment mal, was??
Okay, das mit dem Saurier ist cool, aber der Landrat hat was genau gemacht? Ich dachte, gemäß Sächsischer Landkreisordnung (§ 47) ist der Landrat in erster Linie für die Leitung der Kreisverwaltung und die Vertretung des Landkreises zuständig? Sicherlich fällt die politische Profilierung mit populistischen Aussagen im Amt nicht unter die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Gang der Kreisverwaltung“ (ebd. § 49 (1)) oder die „Geschäfte der laufenden Verwaltung“ (ebd. § 49 (2))? Aber schauen wir doch mal der Reihe nach.
Landrat von Bautzen – kein Unbekannter
Man muss sagen: Udo Witschas, CDU-Landrat von Bautzen, ist nicht erst in den letzten Tagen mit besonders kruden Aktionen aufgefallen. Obwohl der Landrat eigentlich in erster Linie eine leitende und verwaltende Rolle inne hat, nutzt Witschas das Amt gern für seine persönliche politische Profilierung. Insbesondere dreht er gern die Logik der Pressefreiheit um: Nach seinem Gefühl muss offenbar nicht die Presse vor dem übergriffigen Staat geschützt werden, sondern er als Landrat muss vor allzu kritischer Berichterstattung geschützt werden.
So zu sehen beispielsweise im Frühjahr, als der SPIEGEL ihn dazu befragen wollte, warum sein Landkreis das Förderprogramm „Partnerschaften für Demokratie“ abgeschafft hat. Das war damals kein sonderlich kluger Schachzug, denn Bautzen verzichtete damit auf jährliche Fördergelder von 200.000 €. Ob es dabei wirklich um das Einsparen der 50.000 € Eigenmittel ging oder der Landrat sich eher freute, teils kritischer Zivilgesellschaft den Geldhahn abzudrehen, bleibt unklar. Er verweigerte jedenfalls das Interview dazu und nutzte im Anschluss das Amtsblatt (in dem eigentlich die Bürger:innen über Aktuelles aus dem Landkreis informiert werden sollen), um den SPIEGEL zu attackieren: Dieser hätte nach Themen fragen sollen, die „Beleg für die positive Entwicklung unserer Region sind“ – dann hätte es ein Interview gegeben.
Das ist schonmal ein sehr spannendes Verständnis von Pressefreiheit, einem Grundpfeiler der Demokratie. Das kritisierte übrigens auch der Deutsche Journalistenverband Sachsen im Mai. Interviews immer gern – aber nur, so lange ich dabei im guten Licht stehe? Kritische journalistische Arbeit wird dagegen abgeblockt? Könnte man da nicht von Zeichen einer „aufziehenden Diktatur“ sprechen?
Tatsächlich fielen solche Worte offenbar im Kreistag Bautzen. Und ihr werdet nicht glauben, wer sie geäußert haben soll: Landrat Udo Witschas selbst. Wir sind erst im zweiten Abschnitt dieses Artikels, aber wohl schon beim dritten oder vierten „Moment mal, was??“-Moment. Und es wird so weitergehen.
Diktatur und „Endlösung“ in Bautzen – nach Treffen mit verurteiltem Straftäter?!
Springen wir in die Gegenwart. Also genauer gesagt: In die Sitzung des Kreistags Bautzen am Montag. Hier soll der Landrat in einer Wutrede davon gesprochen haben, dass in Deutschland eine Diktatur am Aufziehen sei, nachdem er sich mit der Forderung in Wut geredet habe, endlich eine „Endlösung“ für die Frage der Unterbringung ukrainischer Geflüchteter zu finden. Ob Witschas die Konnotation des Begriffs „Endlösung“ bewusst war (das NS-Regime bezeichnete den Holocaust euphemistisch als „Endlösung der Judenfrage“) und er bewusst Nazi-Sprech verwendete, hätten wir gern von ihm erfahren. Leider reagierte Witschas bis Redaktionsschluss dieses Artikels nicht auf unsere Anfrage. Dennoch ist es spannend, dass ausgerechnet der Landrat, der kritische Berichterstattung grundsätzlich ablehnt, sich als Opfer einer angeblich aufziehenden Diktatur stilisieren möchte.
Hier schließt sich dann wieder der Kreis zu Witschas „interessantem“ Verhältnis zur Pressefreiheit. Denn im August hatte ein Bluesky-Nutzer unter dem Pseudonym aushoywoj aufgedeckt, dass Witschas sich nicht nur mit einem rechtsextremen, verurteilten Straftäter getroffen hatte, sondern auch noch ein Foto von dem Treffen mit Autogramm des Straftäters in seinem Büro ausstellt. Bei besagtem Rechtsextremen handelt es sich um Karsten Hilse, der für die AfD im Bundestag sitzt und 2022 zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil er am Rande einer Corona-Demonstration Widerstand gegen Polizeibeamte leistete.

Sidenote: Schaut mal auf die Kleidung von Hilse (links)
Übrigens: Ja, das ist höchstwahrscheinlich eine Uniform der Volkspolizei der DDR, die Hilse da trägt. Klar hat er als Bundestagsabgeordneter ein freies Mandat, aber dass er sich auch das Land und die Zeitepoche, für die er Politik macht, frei aussuchen kann, war mir bisher nicht bekannt. Aber ernsthaft: Die Volkspolizei in der DDR war in den 1950er Jahren an Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze beteiligt, später wurde sie immer mehr zum Werkzeug der Stasi. Repression und Gewalt in einem Unrechtsstaat via Uniform (und Schriftzug auf dem Motorrad) zu repräsentieren – muss man auch wollen. Wäre richtig mies, wenn der andere Kumpel auf dem Motorrad mit seinem Kreistag dazu noch die Partnerschaften für Demokratie rausschmeißt. Wartet mal…
Landratsamt mischt sich in politische Debatte ein?!
So wichtig die Aufdeckung dieser Umtriebe durch unabhängig recherchierende Leute aus der Zivilgesellschaft ist, so erschreckend ist die Reaktion des Landratsamts Bautzen auf die Veröffentlichung von Fotos, die es ja eigentlich selbst öffentlich zur Schau stellt. Zur Einordnung: Das Landratsamt Bautzen ist grundsätzlich auch eine verwaltende Behörde, es kümmert sich um so Dinge wie KFZ-Zulassung oder baurechtliche Fragen. Und offenbar seit neuestem auch, in Privatbetreuung, um die kritischen Recherchen des BlueSky-Nutzers aushoywoj über den Landrat. Den Eindruck konnte man zumindest in den letzten Tagen gewinnen.
Denn einige Wochen nach den oben erwähnten Recherchen zur netten Volkspolizei-Ausfahrt mit einem verurteilten Rechtsextremisten reagierte der Account des Landratsamtes plötzlich unter besagtem BlueSky-Post. Nochmal: NICHT der Landrat selbst, sondern das Landratsamt – an einem Sonntag! Und was hatte diese Verwaltungsbehörde so dringlich zu sagen?
Die Verwirrung des Landratsamts Bautzen
Hier wird es ein bisschen konfus. Denn einerseits teilte die Behörde bereitwillig und, wie Volksverpetzer auf Anfrage erfuhr, in Vorabstimmung mit dem Landrat, eine hochaufgelöste Version des Bildes vom Motorrad-Treffen mit dem Rechtsextremisten samt Autogrammen und nettem Landrat-Lächeln. Und andererseits warf die Behörde (!!) mit wüsten Anschuldigungen um sich: Von „Denunzieren, diffamieren, dämonisieren, degradieren“ war da die Rede, selbst der Vorwurf des „Ausspionierens“ wurde in den Raum gestellt. Wie gesagt – alles offiziell von einer Behörde, die normalerweise so Dinge macht wie Bauleitpläne diskutieren und PKW zulassen.

Was genau jetzt eigentlich „ausspioniert“ wurde, konnten wir nicht so richtig in Erfahrung bringen. Das angeblich „ausspionierte“ Bild aus dem Büro hat die Behörde ja selbst online gestellt. Auf Rückfrage teilte man uns lediglich mit, dass das Landratsamt das „Ausspähen von offiziellen Mitteilungen“ sowie das „Ausspionieren des Büros durch Dritte“ verurteile. Also offenbar basiert die Kritik darauf, dass besagter Nutzer öffentliche Posts liest und mit Menschen redet, die im Büro des Landrats waren und von der Innenausstattung berichten. Lassen wir mal so stehen.
Fazit: Lokale Demokratie am Abgrund?
Abgesehen davon, dass eine Behörde, die am Sonntagnachmittag arbeitet, ungewöhnlich genug ist, bleiben hier aber doch einige Fragen offen. Der Bluesky-Account des Landratsamts ist eigentlich quasi tot. Er hat genau zwei normale Posts in den letzten 9 Monaten – und etliche Antworten unter kritischen Recherchen des Nutzers aushoywoj. Das war’s an Aktivität auf der Plattform. Insbesondere, da diese Kommentare ja laut eigenen Angaben im engen Austausch mit Landrat Witschas entstehen, drängt sich der Verdacht auf, dass der ganze Account zumindest teilweise der Privatfehde mit diesem Nutzer dient. Das wäre nicht nur höchst unprofessionell, sondern auch eine besorgniserregende Verquickung von persönlichen politischen Ansichten und verwaltenden Aufgaben, die allen Bürgerinnen und Bürgern zugutekommen. Schließlich bezahlen wir ja auch die Arbeitsplätze der Social Media-Redaktion, die am Sonntagnachmittag auf BlueSky unterwegs ist.
Aber hinter der Absurdität dieses BlueSky-Slapsticks steckt ein ernstes Problem. Wenn ein Landrat kritische Stimmen aus dem Diskurs drängt, nachdem diese ihn berechtigt kritisieren, steht tatsächlich die Demokratie auf kommunaler Ebene auf dem Spiel. Noch viel mehr, wenn offenbar auch die Verwaltung am selben Strang zieht. Demokratie lebt davon, dass verschiedene Instanzen sich gegenseitig kontrollieren und moderieren. Insbesondere Amtsträger wie Landräte haben dabei eine besondere Verantwortung. Missbrauchen sie ihre Macht, kann es schnell kippen.
Erstaunlich ruhig bleibt es zu diesem Thema bislang auch von Seiten der CDU, auf deren Ticket Witschas ja gewählt wurde. Die CDU besteht darauf, eine stabil-demokratische Partei zu sein und ich möchte ihr das auch gern glauben. Doch dann kann man eben nicht nur große Reden auf die Demokratie schwingen, sondern muss auch handeln. Auch und gerade, wenn die eigenen Leute auf Kommunalebene freidrehen. Auch und gerade, wenn plötzlich anscheinend Begriffe wie „Endlösung“ umherschwirren und Landräte sich mit verurteilten Rechtsextremen treffen sowie die kritische Berichterstattung darüber attackieren.
P.S.
Ja, „Hoywoj“ ist lokaler Slang für Hoyerswerda. Und wenn ihr glaubt, das ist crazy, dann googelt mal, welche Spitznamen die Locals in Bischofswerda ihrer Stadt gegeben haben. Mein Antrieb für diesen Artikel ist die Hoffnung, dass eines Tages das wieder die seltsamsten News aus dem Landkreis Bautzen sind.
Pshh – wir hatten hier erst geschrieben, dass das Landratsamt Personalausweise ausstellt. Das ist natürlich Unsinn, wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Artikelbild: Robert Michael/dpa