Altenburg in Thüringen: Neonazi-Aufmarsch zum Tag der Deutschen Einheit

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6. October 2025


Rund 800 Neonazis aus dem Umfeld der ehemaligen NPD demonstrierten am 3. Oktober in Altenburg in Thüringen.

(Quelle: Dominik Lenze)

Die rechtsextreme Kleinstpartei „Freie Sachsen“ und die AfD-nahe Protestgruppe Freies Thüringen demonstrierten am Freitag im thüringischen Altenburg. Anlass war der „Tag der deutschen Freiheit“, wie der 3. Oktober im Neonazi-Sprech genannt wird. Laut Leipziger Volkszeitung kamen rund 820 Rechtsextreme zusammen.

Der groteske Aufmarsch erinnerte an einen rechtsextremen Karnevalsumzug: Es wehten Russland-, Reichs- und Sachsenflaggen. Ein älterer Mann schwenkte eine Deutschlandfahne mit der Aufschrift „Wir haben deutsche Ehre im Blut“. Angeführt wurde die Demo von einem mit Transparenten und Flaggen behangenen Pick-up-Truck. „Medienhetze! Vom Redakteur bis Sprecher alles Verbrecher?“ stand an einer Seite des Fahrzeugs.

Aus den Lautsprechern wurde wahlweise Rechtsrock oder 90er-Trash gespielt, nur wenige Meter hinter dem Truck folgte eine Gruppe Trommler. Auch ein Zitat des ehemaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer (CSU) schaffte es auf die Neonazi-Demo: „Migration ist die Mutter aller Probleme“ stand auf einem Transparent, das eine Frau hochhielt.

Die Teilnehmenden sammelten sich am Marstall, einem historischen Baudenkmal der Stadt, und zogen von dort aus durch Altenburg. Am Eingang gab der frühere AfD-Politiker André Poggenburg dem österreichischen Verschwörungsportal Auf1 ein Interview. Zwischen Bratwurstbude und Compact-Pavillon war die Querdenker-Partei „Die Basis“ mit einem Stand vertreten. Auch die Neonazi-Gruppe „Der Störtrupp“ (DST) war mit mehreren Mitgliedern vor Ort.

„Heimat“ umwirbt AfD

Redner aus den Reihen der Neonazipartei „Die Heimat“ griffen in ihren Beiträgen die Kampfbegriffe der sogenannten Neuen Rechten auf – und thematisierten ihr Verhältnis zur AfD. „Remigration schafft Freiheit“, sagte etwa Peter Schreiber, Bundesvorsitzender der „Heimat“. Patrick Weber, Landesvorstand in Thüringen, erklärte, es sei an der Zeit, gemeinsam mit anderen „volkstreuen Kräften“ die „Reconquista“ einzuleiten.

Patrick Weber, Landesvorstand von “Die Heimat” in Thüringen bedient sich am ideologischen Baukasten der Identitären Bewegung.

Beide Begriffe – Remigration und Reconquista – stammen aus dem rhetorischen Baukasten der rechtsextremen Identitären Bewegung. Remigration ist im Wesentlichen ein Euphemismus für das klassische „Ausländer raus“, auch AfD-Co-Chefin Alice Weidel bekennt sich inzwischen zu dem Kampfbegriff.

Lauter Applaus für Antisemitismus in NS-Rhetorik

Auch Redner Weber forderte die „Remigration“: „Damit uns das gelingt, brauchen wir eine Überwindung aller Spaltungstendenzen, ein Ende von Abgrenzungen zueinander“, sagte er. „Umso erfreulicher“ sei es, dass „Mitstreiter“ verschiedener Parteien vor Ort seien. „Dann wird es auch Zeit, dass in der AfD bei denen, die immer auf Distanz zu anderen Gruppen gehen, endlich einmal der Groschen fällt“, fuhr er unter Applaus fort. Nur gemeinsam könne man sich „von unserem gemeinsamen Feind befreien“.

Frank Haußner („Freies Thüringen“), (Quelle: Dominik Lenze)

Wer mit dem „gemeinsamen Feind“ gemeint ist, wurde im weiteren Verlauf deutlich, besonders in der Rede von Frank Haußner, einem AfD-nahen rechtsextremen Aktivisten aus Thüringen. „Der Feind aller Menschen ist der tiefe Staat“, sagte Haußner. Gemeint sei der „Globalismus angelsächsischer Prägung“, der sich „wie ein Krebsgeschwür über unsere Erde ausgebreitet“ habe und die „Strippenzieher“ der Kriege sei – „damals wie heute“. Das Publikum applaudierte.

Rhetorisch zwischen Trump und Hitler

Die Formulierungen des Dachdeckers aus Zeulenroda gleichen eins zu eins der Wortwahl im historischen Nationalsozialismus: So bezeichnete Adolf Hitler die Juden in „Mein Kampf“ als „den bösen Feind der Menschheit“. Der „tiefe Staat“ oder „deep state“ ist eine zeitgenössische antisemitische Chiffre, die vor allem in der MAGA-Bewegung um Donald Trump populär ist.

Auch hinter dem Ukraine-Krieg stecke angeblich „die verborgene Struktur des tiefen Staates“, fuhr Haußner fort. Der „Globalismus angelsächsischer Prägung“ – eine gängige Chiffre für die Wahnvorstellung von der jüdischen Weltverschwörung – sei der gemeinsame Feind des „deutschen und russischen Volkes“.

„Volk der Deutschen, erwache“

„Blicken wir in unsere Zukunft, dann schauen wir nach Osten“, rief er. Seine Rede schloss er mit der Phrase „Volk der Deutschen, erwache“ – eine nur minimal abgewandelte Form der NS-Parole „Deutschland, erwache“.

(Quelle: Dominik Lenze)

Haußner ist eine zentrale Figur der Protestgruppe „Freies Thüringen“ und steht dem AfD-Landeschef Björn Höcke offenbar nahe: Die beiden sind per du und traten schon mehrfach gemeinsam auf Demonstrationen auf. Zudem steht Haußner der mutmaßlichen Staatsstreich-Truppe um den Reichsbürger und Adelsspross Heinrich Reuß nahe.

Junge Neonazis docken bei „Heimat“ an

Ein besonders verstörendes Detail an diesem Tag: Zahlreiche Gäste kamen mit ihren Kindern zur Neonazi-Demo. Beim Marsch durch die Stadt hatte ein Vater seine Tochter auf den Schultern, die sich die Ohren zuhielt, weil direkt hinter ihr ein Neonazi „Kriminelle Antifa“ in sein Megafon brüllte.

Auch jugendliche Neonazis fühlten sich von der Veranstaltung angesprochen: Eine Gruppe hatte ihre mitgebrachte Reichsflagge wie ein Gästebuch genutzt: Zahlreiche Kamerad*innen hatten darauf unterschrieben – darunter auch „Odins Krieger“.

Einige, die sich in den letzten Sommern bei den Aufmärschen gegen CSDs gefunden und gemeinsam radikalisiert hatten, sind nun offenbar an die Strukturen der „Heimat“ angedockt: Ein junger Neonazi aus dem Raum Berlin-Brandenburg betreute am Freitag den Stand der Neonazi-Partei. Im Gespräch mit einem Reporter der Bild-Zeitung auf einer Demo hatte der junge, glatzköpfige Mann vor einigen Monaten noch beteuert, er sei nicht rechtsextrem.

Gegen den skurrilen Nazi-Aufmarsch demonstrierten an diesem Tag rund 400 Menschen auf dem Altenburger Theaterplatz. In den vorherigen Jahren demonstrierten die Rechtsextremen am Tag der Deutschen Einheit im nahegelegenen Gera. Dass sie in diesem Jahr auf Altenburg ausgewichen sind, kann man als Ergebnis des beharrlichen Gegenprotests dort werten.

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