20. Oktober 2025
Vogelwelt im Wandel – Gefiederte Gewinner und Verlierer im Wattenmeer
Neue Daten aus dem wissenschaftlichen Vogelmonitoring im Wattenmeer zeigen deutlich unterschiedliche Trends für einzelne Arten. Welche Arten legen zu, welche nehmen ab – und wer behauptet sich?
10 Minuten

Das Wattenmeer vor den Küsten Deutschlands, Dänemarks und der Niederlande ist einer der weltweit wichtigsten Lebensräume für Vögel, die an Küsten und Feuchtgebiete als Lebensraum angewiesen sind. Im Laufe des Jahres besuchen mehr als 10 Millionen Vögel die Schlickflächen, Sandstrände und Salzwiesen im an der Küste und auf den vorgelagerten Inseln und Halligen.
Ein Teil der Arten brütet auch dort, aber vor allem ist das Wattenmeer für Millionen Vögel eine überlebenswichtige Etappe auf dem viele tausende Kilometer langen Zugweg. Zwischen den Brutgebieten in Nordeuropa und der Arktis und den Winterquartieren, die bis nach Südafrika reichen, liegt das Weltnaturerbe Wattenmeer etwa auf halber Strecke. Nirgendwo sonst entlang des 10.000 Kilometer langen sogenannten Ostatlantischen Vogelzugwegs machen mehr Vögel Station.

Die millionenfache Anwesenheit von Vögeln aus allen Regionen entlang des Zugwegs bietet Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine ideale Gelegenheit, festzustellen, wie es um die Qualität des Lebensraums Wattenmeer und um die Bestände der rastenden Vögel insgesamt bestellt ist. Deshalb werden die Vögel von Expertinnen und Experten in allen Wattenmeer-Anrainerstaaten regelmäßig gezählt.
In diesen Tagen hat das Wattenmeer-Sekretariat neue Daten veröffentlicht. Sie zeigen, dass sich die Bestände einiger Arten in den vergangenen Jahren stark verändert haben – in beide Richtungen. Neben Gewinnern mit erheblichen Zuwächsen und Verlierern mit ebensogroßen Bestandsverlusten gibt es auch Arten, deren Zahl über lange Zeiträume hinweg stabil ist. Eine Auswahl:

Gewinner Löffler
Der Löffler ist die gefiederte Erfolgsgeschichte des Wattenmeers schlechthin. Groß wie ein Reiher, fast reinweiß und mit einem namensgebenden langen Löffelschnabel hat er sich im Rekordtempo seinen Lebensraum zurückerobert. Das Sammeln seiner Eier, die Jagd auf die scheuen Vögel und der massenhafte Gebrauch von Pestiziden in der Landwirtschaft hatten die Tiere bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fast überall im Wattenmeer ausgerottet. Das Verbot des Insektenvernichtungsmittels DDT und das in den 1970er Jahren erlassene Jagdverbot brachten die Wende. Seitdem wachsen die Bestände kräftig. Der Löffler verzeichnet seit Ende der 1980er Jahre den stärksten Anstieg aller im Wattenmeer beobachteten Arten. Allein im deutschen Teil des Wattenmeeres brüten rund 1.000 Paare. Insgesamt leben wattenmeerweit wieder mehr als 9.000 Löffler.

Gewinner Steinwälzer
Orangebraunes Gefieder und ein schwarz-weiß gemusterter Kopf: Die amselgroßen Steinwälzer-Männchen präsentieren sich zumindest von Frühjahr bis zum Frühherbst in einem ziemlich extravaganten Federkleid. Die Steinwälzer, die im Wattenmeer rasten, stammen aus zwei verschiedenen Herkunftsgebieten. Eine Gruppe brütet in Kanada und Grönland und verbringt den Winter in Westeuropa und Nordwestafrika. Vögel aus dieser Population sind von August bis ins Frühjahr des nächsten Jahres im Wattenmeer anzutreffen. Die andere Gruppe brütet in Skandinavien und Russland und überwintert in Afrika.
Diese Vögel besuchen das Watt auf dem Weg in die Brutgebiete im Mai und bereits im Juli wieder auf dem Weg nach Afrika. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Steinwälzer im Wattenmeer um mehr als 80 Prozent zugenommen. Mehr als 14.000 Vögel werden pro Jahr gezählt. Als Brutvögel sind Steinwälzer in Deutschland allerdings seit Beginn der 2010er Jahre ausgestorben.

Gewinner Sanderling
Klein, weiß wie eine Schaumkrone auf einer auflaufenden Welle und sehr schnell zu Fuß unterwegs: Sanderlinge sind unverkennbar, wenn sie in atemberaubenden Tempo den auf- und ablaufenden Wellen hinterherlaufen, um kleinste Tiere aufzupicken, die mit an Land gespült werden. Ihr plattdeutscher Name spiegelt die Eile der kleinen Weltenbummler: „Keen Tied“ – keine Zeit. Die Vögel brüten in den hocharktischen Tundra-Regionen, etwa in Grönland und fliegen im Herbst bis in das südliche Afrika. Einige überwintern aber auch im Wattenmeer. Sanderlinge lassen sich in den letzten Jahren in größerer Zahl an den Stränden der Nordseeküste blicken, vor allem im niederländischen Teil des Wattenmeers. Gegenüber der Zeit vor der Jahrtausendwende hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt. Bis zu 53.000 Sanderlinge werden heute zu Spitzenzeiten während des Frühjahrszugs gezählt.

Gewinner Pfeifente
Pfeifenten sind kleine, aber ziemlich auffällige Enten, die schon von weitem mit ihrem namensgebenden Ruf auf sich aufmerksam machen. Ihr Pfeifen können Besucherinnen und Besucher des Wattenmeers seit einigen Jahren immer häufiger hören, denn die Zahlen der sich strikt vegetarisch ernähenden Vögel sind beständig angestiegen. In den letzten Jahren hat die Pfeifente in allen Teilen des Wattenmeeres sehr kräftig zugelegt.
Am stärksten ist der Zuwachs im nördlichen Teil des Wattenmeeres in Dänemark und Schleswig-Holstein. Im Herbst halten sich inzwischen fast eine halbe Million der Vögel im Wattenmeer auf – das ist ein Anstieg um mehr als 75 Prozent innerhalb von 10 Jahren. Die Tatsache, dass immer mehr Pfeifenten das Wattenmeer besuchen, dürfte nicht allein auf die hohe Qualität des Wattenmeeres als Lebensraum zurückzuführen sein. Wissenschaftler halten den Klimawandel für einen wichtigeren Faktor. Steigende Temperaturen in den hochnordischen Brutgebieten dürften dort zu einem besseren Bruterfolg führen.

Gewinner Spießente
Für das Überleben der Spießenten ist das Wattenmeer von besonders großer Bedeutung. Mehr als 80 Prozent aller Vögel aus den Regionen entlang des Ostatlantik-Zugwegs machen hier Rast oder verbringen gleich den ganzen Winter. Die großen Enten ernähren sich von Pflanzen, die sie überwiegend in den Abendstunden oder sogar nachts im flachen Wasser schwimmend aufnehmen. Spießenten brüten vor allem in den Tundren der Arktis und in Feuchtgebieten Skandinaviens. Auch in Deutschland brüten einzelne Paare. Den Winter verbringen viele von ihnen in Feuchtgebieten und an den Küsten Afrikas südlich der Sahara. Aber auch im Wattenmeer nimmt ihre Zahl seit einigen Jahren stark zu. Wurden in den 1990er Jahren Höchstzahlen deutlich unter 20.000 gezählt, rasten oder überwintern heute mehr als 60.000 Spießenten an der Nordseeküste.

Verlierer Dunkelwasserläufer
Wer einen tiefschwarz gefärbten Watvogel mit hellen Sprenkeln und langen roten Beinen unablässig mit seinem Schnabel im flachen Wasser auf und nieder pickend sieht, kann sich sicher sein, einen Dunkelwasserläufer vor sich zu sehen. Oft waten die Vögel bis zum Bauch im Wasser oder schwimmen sogar. Nicht die einzige Besonderheit. In den hochnordischen Brutgebieten legen die Weibchen ihre Eier in kleinen Kuhlen auf dem Boden ab und überlassen sie fortan den Männchen, das sie alleine ausgebrütet und die Jungen großzieht. Währenddessen machen sich die Weibchen schon wieder ins Wattenmeer auf, um dort ihr Federkleid zu wechseln. Immer weniger der eleganten Schnepfenvögel aus dem Norden Skandinaviens und Sibiriens lassen sich auf dem Weg nach Afrika im Wattenmeer blicken. Nur im dänischen Teil sind die Zahlen stabil. Konnte man vor der Jahrtausendwende in jedem Herbst noch rund 20.000 Dunkelwasserläufer im Wattenmeer zählen, ermitteln die Experten heute nur noch 15.000 – ein Einbruch um 25 Prozent. Möglicherweise ist ein Rückgang wichtiger Nahrungstiere wie Flohkrebse eine Ursache für die geringere Zahl an Dunkelwasserläufern im Watt.

Verlierer Eiderente
Daunenlieferant im Abwärtsstrudel: Die Eiderente macht es ihrem Nachwuchs gemütlich, indem sie aus ihren eigenen Brustfedern ein warmes Polsternest für ihre Küken baut. Der weitere Lebensverlauf ist dann weniger gemütlich, wie auch die Zählungen im Wattenmeer zeigen. Die Eiderente ist eine der Arten, deren Rastbestände seit Ende der 1980er Jahre am stärksten zurückgegangen sind. Während die Höchstzahlen bis etwa zur Jahrtausendwende im Durchschnitt nahe der 300.000er-Marke lagen, sind es derzeit nur noch rund 185.000.
Forscher führen den Rückgang der Enten auf die Verknappung ihrer Nahrung zurück. Eiderenten ernähren sich vor allem von Muscheln wie Herzmuscheln, die sie aus dem Wattboden freitrampeln und Miesmuscheln, die sie während ihrer Tauchgänge bis in eine Tiefe von 30 Metern erbeuten. Ihr Nahrungsbedarf ist enorm. Jeden Tag müssen sie soviel Beute machen, wie sie selber wiegen: rund zwei Kilogramm.

Verlierer Austernfischer
Kein Watt-Besucher kann sie übersehen: Austernfischer sind das Aushängeschild des Nordens. Das schwarz-weiße Gefieder und der orangerote Schnabel haben ihm den Spitznamen „Halligstorch“ eingetragen. Auch wenn sie noch häufig sind: Austernfischer kämpfen ums Überleben. Ihre Zahl ist in 20 Jahren um die Hälfte eingebrochen. Bei keinem anderen Wattenmeer-Vogel kommen so viele Gefahren zusammen: Überfischung lässt Muscheln als Nahrung schwinden, Feinde wie die Wanderratte und der Fuchs breiten sich aus und allen voran macht der Klimawandel den Vögeln das Leben schwer. Der Meeresspiegelanstieg lässt ihre Strandlebensräume unerbittlich schrumpfen. Austernfischer könnten darum zum ersten Klimaopfer unter den Brutvögeln werden. Die Probleme spiegeln sich auch in den neuen Zahlen der durchziehenden und überwinternden Austernfischer. Bestätigten systematische Zählungen im Herbst und Winter vor rund 30 Jahren noch die Anwesenheit von rund 650.000 Austernfischern, so sind es in den vergangenen zehn Jahren mit 325.000 Vögeln nur noch halb so viele. Einzig im dänischen Teil des Wattenmeeres haben sich die Zahlen auf einem niedrigen Niveau stabilisiert.

Verlierer Säbelschnäbler
Der elegante schwarz-weiße Watvogel mit dem charakteristisch aufwärts gebogenen Schnabel gehört seit vielen Jahren zu den Verlierern der Entwicklung im Wattenmeer. Seine außergewöhnliche Schnabelform, der er auch seinen Namen verdankt, erlaubt es ihm, im seichten Wasser hin und her zu „fegen“ und dabei kleine Krebse, Insektenlarven oder Würmer aus dem Schlamm zu filtern.
Im offensichtlich knapper werdenden Nahrungsangebot scheint auch das Problem für die Säbelschnäbler des Wattenmeeres zu liegen. Denn, während die Populationen in anderen Regionen entlang des Zugweges stabil sind, nimmt die Zahl der Säbelschnäbler im Wattenmeer seit langem stark ab. Die größten Verluste registrieren Vogelkundler im deutschen Teil des Wattenmeeres, die geringsten im Dänischen. Heute werden bei den Zählungen noch rund 25.000 Säbelschnäbler registriert– weniger als halb so viele wie in den 1990er Jahren. „Der anhaltende Rückgang dieser Populationen könnte auf Belastungen im Wattenmeer hinweisen, darunter Lebensraumverlust und Störungen durch menschliche Aktivitäten“, schreiben die Experten im neuen Zugvogelbericht.

Behauptungskünstler Alpenstrandläufer
Mit einer Million Vögel ist der Alpenstrandläufer die mit Abstand häufigste Watvogelart im Wattenmeer. Fast drei Viertel aller Alpenstrandläufer aus den Ländern entlang des Zugwegs schauen im Frühling und Herbst im Wattenmeer vorbei, wenn sie sich im Herbst aus den hochnordischen Brutgebieten in Skandinavien und Russlands auf den Weg machen, um im westlichen Afrika zu überwintern. Auch im Frühjahr gehört ein Stopp an der Küste zum festen Programm. Wer bei Wattwanderungen oder einem Strandspaziergang am Horizont eine ständig auf und ab tanzende Wolke aus tausenden Vögeln sieht, kann sich sicher sein, einen Schwarm der arktischen Weltenbummler vor sich zu haben. Während die Vögel zur Zugzeit und im Winter äußerst gesellig sind, leben sie in den arktischen Tundren zurückgezogen und verteidigen ihr Revier gegen Artgenossen. Die Rastbestände sind langfristig stabil und zeigen seit ein paar Jahren im niederländischen und dänischen Teil des Wattenmeeres einen Aufwärtstrend.
RiffReporter
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