Quelle: CORRECTIV.Faktencheck!
Führerschein weg wegen Trunkenheit zuhause? Das ist selten, aber auch in Deutschland möglich
Ein Fall aus der Schweiz sorgt im Netz für Zweifel: Einem Mann wurde die Fahrerlaubnis entzogen, weil er von der Polizei mit zwei Promille Alkohol kontrolliert wurde – und zwar Zuhause. Nutzerinnen und Nutzer kommentieren, so etwas sei in Deutschland nicht möglich. Was ist da dran?
von Paulina Thom
Ein Mann in der Schweiz habe seinen Führerschein verloren, obwohl er gar nicht gefahren sei, sondern nur betrunken auf dem Sofa gesessen habe. Das sei auch in Deutschland möglich.
30.03.2024
Richtig
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Richtig. Grundsätzlich ist es möglich, dass Behörden Personen den Führerschein entziehen, wenn sie abseits des Straßenverkehrs stark alkoholisiert kontrolliert werden – auch Zuhause. Entscheidend ist, dass Tatsachen den Verdacht auf Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit begründen. Laut Experten geschieht dies jedoch selten und betrifft vorrangig Personen, die bereits vorher durch Vorfälle mit Alkohol auffällig wurden.
Ein Vorfall aus der Schweiz sorgt auf Tiktok für Aufregung: Ein Mann habe seinen Führerschein abgeben müssen, weil er sich Zuhause betrunken hat. „Behörden in der Schweiz, aber auch in Deutschland, dürfen einen Führerschein auch dann entziehen, wenn die betroffene Person gar nicht am Steuer saß“, steht in der Beschreibung des Tiktok-Beitrages.
Ein Nutzer kommentiert: „Das kann nicht rechtens sein“. Andere halten die Meldung für einen Scherz. Der Beitrag hat mehr als 60.000 Aufrufe.
Mann in der Schweiz verlor Führerschein wegen Verdachts auf Alkoholsucht
Der Tiktok-Beitrag zitiert in der Beschreibung aus einem Artikel der Webseite efahrer.com. Auch ein Screenshot des Artikels ist zu sehen. Über den Vorfall im Kanton Thurgau in der Schweiz berichteten einige Monate zuvor andere Medien, etwa die Schweizer Boulevardzeitung 20 Minuten. Demnach war die Polizei wegen einer Ruhestörung zum Haus des Mannes gerufen worden und habe bei ihm einen Alkoholwert von mehr als zwei Promille festgestellt. Einige Tage später habe der Mann einen Brief erhalten, dass er den Führerschein abgeben müsse.
In den Artikeln steht auch der Grund für das Vorgehen der Polizei: Sie habe den Vorfall der Fahrerlaubnisbehörde gemeldet, da der Betroffene sich trotz hohen Promillewerts unauffällig verhalten und daher der Verdacht auf Alkoholsucht bestanden habe. Ein Sprecher des Straßenverkehrsamt sagte gegenüber 20 Minuten: „Ab 2,5 Promille wären wohl die meisten Menschen komatös unter dem Tisch, wer trotzdem noch einigermaßen sinnvoll handeln kann, bei dem kann das auf ein Alkoholproblem hindeuten“. Der Mann legte Widerspruch gegen die Entscheidung ein, jedoch ohne Erfolg.
Experte: „In aller Regel verlieren Bürgerinnen und Bürger ihre Fahrerlaubnis nur dann, wenn sie im Verkehr auffällig werden.“
Bei efahrer.com heißt es, so etwas könne auch in Deutschland passieren, auch wenn es unüblich sei, dass die Polizei hierzulande bei einer Ruhestörung einen Alkoholtest mache. Vasco Reuss, Professor für Straf- und Verkehrsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, schreibt uns auf Anfrage: Grundsätzlich sei ein solcher Fall in Deutschland möglich.
Die Polizei müsse solche Tatsachen den Verkehrsbehörden weiterleiten, das regelt Paragraph 2 des Straßenverkehrsgesetzes. „Die Verkehrsbehörde kann eine Fahrerlaubnis entziehen, wenn Tatsachen den Verdacht auf Alkoholmissbrauch oder Alkoholkrankheit (Sucht) begründen“, schreibt Reuss. Dafür ordne sie ein ärztliches oder medizinisch-psychologisches Gutachten an. Geregelt ist das in den Paragraphen 11 und 13 und der Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung. Zuständig dafür ist die Fahrerlaubnisbehörde, umgangssprachlich Führerscheinstelle genannt.
Bestätigten sich die Zweifel an der Fahreignung nicht, erhalte die Person ihren Führerschein wieder, schreibt Reuss.
Reuss schreibt aber auch, dass der Fall in der Schweiz – wenn er sich so wie beschrieben zugetragen habe – eine seltene Ausnahme darstelle. „In aller Regel verlieren Bürgerinnen und Bürger ihre Fahrerlaubnis nur dann, wenn sie im Verkehr auffällig werden“, erklärt er.
Führerscheinentzug, ohne betrunken gefahren zu sein – laut Rechtsanwalt selten, aber möglich
All das bestätigt uns auch Paul Wegener, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt auf Fahrerlaubnisrecht, auf Anfrage. Dass man seine Fahrerlaubnis verliere, weil man lediglich Zuhause stark alkoholisiert kontrolliert werde, geschehe – wenn auch sehr selten.
Das gehe aber nicht so schnell, wie in dem Tiktok-Beitrag geschildert. Denn die Polizei müsse bei einer Kontrolle abseits des Straßenverkehrs erstmal einen Anlass haben, eine Blutprobe zur belastbaren Ermittlung anzuordnen. Erst in einem zweiten Schritt ermittele dann die Führerscheinstelle weiter und hole etwa medizinische Gutachten ein.
Solche Fälle wie in der Schweiz kenne er eigentlich nur, „wenn eine Person mehrfach, sehr stark alkoholisiert auffällt – etwa deswegen schon einmal den Führerschein verloren hat – oder ein Bezug zum Straßenverkehr zumindest naheliegt“. Zum Beispiel, wenn jemand mit drei Promille im Auto liegend aufgefunden werde.
Auch in Deutschland gab es ähnliche Fälle von Trunkenheit und Führerscheinentzug
In Deutschland gibt es einige Medienberichte und Urteile, die Wegeners Einschätzung stützen: Wie der Tagesspiegel 2003 berichtete, verlor eine Berlinerin ihren Führerschein, weil sie betrunken gekocht und ein Feuer in der Küche ausgelöst hatte. Sie hatte jedoch einige Jahre zuvor ihren Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer bereits einmal verloren.
2016 entzog die Verkehrsbehörde in Neustadt einem Mann den Führerschein, der zuvor mehrfach wegen Alkoholabhängigkeit in Behandlung war. Die Polizei hatte bei ihm laut Saarbrücker Zeitung Zuhause nach einem Notruf knapp 2,3 Promille bei einem Atemalkoholtest festgestellt. In beiden Fällen entschied ein Gericht, dass der Führerscheinentzug rechtmäßig sei, da jeweils eine Alkoholabhängigkeit vorläge.
Den Führerschein abgeben zu müssen, obwohl man nur betrunken auf dem Sofa saß, ist also auch in Deutschland möglich, jedoch nur wenn es ganz grundsätzlich Zweifel an der körperlichen und geistigen Eignung gibt, am Straßenverkehr teilnehmen zu können.
Redigatur: Steffen Kutzner, Gabriele Scherndl