Quelle: CORRECTIV.Faktencheck!
Die jüngste Sonntagsfrage sandte Schockwellen durch die politische Landschaft: 39 Prozent der Wahlberechtigten in Sachsen-Anhalt wollen laut Umfrage die AfD wählen – ein Rekordwert, auch im Vergleich zu Thüringen und Sachsen. Die CDU, zweitstärkste Kraft, kam nur auf 27 Prozent. In den Monaten zuvor lieferten sich beide Parteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Reale Machtoption für die AfD?
Obwohl Umfragen ein Jahr vor der Wahl nur begrenzte Aussagekraft haben, wirft das Ergebnis eine zentrale Frage auf: Könnte die AfD erstmals eine echte Machtoption in der Landespolitik erhalten? Entweder als Teil einer Regierung oder durch punktuelle Kooperationen mit anderen Fraktionen.
Während die etablierten Parteien eine Zusammenarbeit auf Landesebene kategorisch ausschließen, zeigt sich das BSW verhandlungsbereit. Thomas Schulze, einer der beiden Landesvorsitzenden, erklärte auf Anfrage, dass seine Partei bei Sachfragen für alle Parteien offen ist – auch für die AfD.

BSW-Chef des Landes schlägt anderen Umgang mit AfD vor
Konkret schreibt Schulze: „Wenn es Anträge gibt, die das Leben der Menschen in Sachsen-Anhalt verbessern – ganz gleich von wem –, dann werden wir sie uns anschauen und sachgebunden behandeln.“ Als Themen, bei denen der Schuh besonders drückt, benennt er etwa den Erhalt aller Krankenhausstandorte in Sachsen-Anhalt, ein Verbot von Handys und Tablets an Grundschulen und Investitionen in Infrastruktur.
Insgesamt, so heißt es auf Nachfrage, seien die Gemeinsamkeiten sowohl mit der CDU als auch der AfD gering, das sei auch dem Parteiprogramm zu entnehmen. Schnittmengen mit der AfD gebe es aber beispielsweise bei der Russlandpolitik, sodass gemeinsame Entscheidungen denkbar seien. So setzt sich das BSW für „billige Energie durch das Aufheben der fatalen Energiesanktionen gegen Russland [ein], die die ostdeutsche Wirtschaft in die Knie zwingen“.
Schwierige Mehrheitsverhältnisse drohen
Die Umfragewerte der letzten Monate verleihen einer möglichen Zusammenarbeit zwischen AfD und BSW Relevanz. Zwar lag das BSW im September nur bei sechs Prozent, doch zuvor schwankte die Partei zwischen zehn und 16 Prozent. Gemeinsam mit der AfD erreichten sie in Umfragen mehrfach die 45-Prozent-Marke. Eine Mehrheit nach Parlamentssitzen scheint nicht ausgeschlossen.
Zum Vergleich: CDU und SPD, die derzeit mit der FDP koalieren, kamen zusammen nur noch auf 34 Prozent. Die Liberalen wurden nicht einmal mehr in der Umfrage ausgewiesen, sie dürften den Wiedereinzug ins Parlament verfehlen.
Die Folge: Im kommenden Landtag dürften komplizierte Mehrheitsverhältnisse herrschen. Dem BSW könnte eine entscheidende Rolle als Mehrheitsbeschaffer zukommen. Denn die CDU hat nicht nur eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen, sondern auch die Zusammenarbeit mit der Linken (zuletzt 13 Prozent bei der Sonntagsfrage).
Keine Koalition angestrebt – aber Duldung nicht ausgeschlossen
Einer Koalition mit der AfD erteilt Schulze aber eine Absage – ebenso wie einer Koalition mit der CDU. Letztere habe „Sachsen-Anhalt in den letzten Jahrzehnten genau in diesen schlechten Zustand gebracht, in dem es jetzt ist.“ Unzureichende medizinische Versorgung auf dem Land, Lehrermangel, immer noch bestehende Lohnunterschiede zwischen Ost und West – all das hätten CDU und regierende Parteien zu verantworten, „und deshalb können wir zu diesen Parteien nur Opposition sein.“
Ob das BSW eine mögliche Minderheitsregierung der AfD oder der CDU unterstützen würde, ließ die Parteispitze aber offen. Auf Nachfrage wurde CORRECTIV telefonisch mitgeteilt: Die Frage nach Minderheitsregierungen sei eine Angelegenheit vom nächsten Jahr und von den jeweils konkreten Mehrheitsverhältnissen abhängig. Zunächst gehe es für das BSW darum, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Ausgeschlossen ist eine Duldung offenbar nicht.
BSW-Vorstand hält Brandmauer für gescheitert
Die Positionierung des BSW begründet Co-Chef Schulze so: „Die Strategie der Brandmauer ist gescheitert (…) Sie ist der Grund für das politische Klima und das Umfragehoch für die AfD. Da machen wir nicht mit.“ Auch das BSW wolle nicht, dass der Stimmenanteil der AfD noch weiter steige, heißt es auf Nachfrage. Doch das BSW gebe nicht möglichen Regierungen, sondern konkreten Sachthemen und Ideen seine Zustimmung.
Besondere Sprengkraft: Der völkisch orientierte AfD-Spitzenkandidat
Bereits zuvor hatte es beim BSW Öffnungssignale gegenüber der AfD gegeben. Im Juli kam es in Thüringen zwischen dem Landes-BSW-Chef Frank Augsten und Björn Höcke zu einem Treffen. Konkreter Anlass war die Blockadehaltung der Rechtsextremen bei der Richterwahl in Thüringen. In der Folge erklärte sich auch Parteichefin Sahra Wagenknecht offen für Gespräche etwa mit AfD-Chef Chrupalla. Co-Chefin Amira Mohamed Ali bestritt aber, dass es hier zu einer Annäherung oder einer möglichen Zusammenarbeit komme.
In Sachsen stimmte das BSW zuletzt vereinzelt mit der AfD. Im November 2024 unterstützte es mehrheitlich den AfD-Antrag gegen die Stationierung von US-Raketen, für eine Mehrheit reicht es nicht. Auch das Einsetzen eines sächsischen Corona-Untersuchungsausschusses, das die AfD einbrachte, unterstützte das BSW. Eine Zusammenarbeit wollte die Landesparteiführung darin aber nicht sehen.
Die explizite Bereitschaft des BSW in Sachsen-Anhalt, das Verhältnis zur AfD zu lockern, bringt nun weitere Bewegung in die politische Debatte. Mit diesem Kurs will das BSW auch die Menschen abholen, „die sich nicht mehr oder nicht richtig vertreten fühlen“. Es besitzt aber auch eine besondere Sprengkraft. Denn seit November 2023 gilt die AfD in Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextrem.
Ihr Spitzenkandidat zur Landtagswahl, Ulrich Siegmund, war auch auf dem von CORRECTIV aufgedeckten Treffen in Potsdam zugegen. Dort ging es um das verfassungswidrige Konzept der Remigration – also das Vertreiben von Menschen mit Migrationshintergrund, auch mit deutscher Staatsangehörigkeit.
Siegmund sprach in seinen Wortbeiträgen vor Ort unter anderem davon, dass sich das Straßenbild in Deutschland ändern müsse. Ausländische Restaurants sollten unter Druck gesetzt werden. Es solle in Sachsen-Anhalt „für dieses Klientel möglichst unattraktiv sein zu leben“.
Redigatur und Faktencheck: Alexej Hock