15. September 2025
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Warum nicht „AfD verliert im Vergleich zur BTW, Grüne zweitbestes Ergebnis in NRW“?
von Thomas Laschyk | Sep. 15, 2025 | Analyse
Ja, die gesichert rechtsextreme hat bei den Kommunalwahlen in NRW gegenüber der letzten Wahl 2020 stark zugelegt, keine Frage. Und das ist ein Grund zur Besorgnis. Aber in den Medien heißt es „Blaue Welle“ oder „AfD-Sieg“. Sie hat gerade mal einen Prozentpunkt mehr als die Grünen auf Platz 3. In Brandenburg und Sachsen erlebte sie teils krachende Niederlagen. Der Zuwachs ist real, aber die Medien machen die AfD größer, als sie ist. Und dass sie nichts gewinnt, kommt medial zu kurz.
Die unerzählten Wahl-Niederlagen der AfD
Ich hatte es letzte Woche in meinem viral gegangenen deep dive erläutert – die AfD ist von einigen rechten Wohlhabenden künstlich geschaffen worden, und wird durch morbide Fixierung der Medien ständig als unaufhaltsame Kraft inszeniert – und dieses mediale Hypen ist er das, was ihr wirklich Prozente verschafft. Die Wahlen und Umfragen von diesem Wochenende belegen meine Beobachtung weiter.
Ich möchte meine zentralen Punkte von letzter Woche aber noch einmal wiederholen: Die AfD wird von Millionären direkt und indirekt unterstützt, vom reichsten Mann der Welt gepriesen und den mächtigsten Autokraten und Staaten der Welt gelobt und supported. Sie ist sie eine Kreatur von und für wirtschaftliche Eliten, die künstlich mit viel Geld hochgepusht wird.
WIE die Medien berichten, hat einen relevanten Einfluss darauf, wie die Wahlen ausgehen. Forscherinnen wie Léonie de Jonge argumentieren, dass die mediale Reichweite und die (unkritische) Präsentation rechtsextremer Parteien sie erst stark macht. Andere Studien sagen das auch.

Gerade im Wahljahr 2024 bekam die rechtsextreme Partei extrem viel Reichweite geschenkt – mehr sogar als die Grünen oder Linken. Studien zeigen, dass die klassischen Medien immer noch mehr Anteil an der Polarisierung haben als Social Media.

Wir kritisieren seit Jahren, dass die AfD und ihre vielen Lügen und Themen unkritisch (in den Überschriften) rezipiert werden – und sie und ihre Propaganda Teil des normalen Diskurses wird. Und damit eben auch Teil der normalen Politiklandschaft. Das habe ich auch in meinem Buch ausführlich behandelt. Ausführlicher und mit mehr Beispielen wie gesagt in meinem deep dive von letzter Woche.
Wo ist die „blaue Welle“ oder welcher „AfD-Sieg”?
Die Medien sprechen heute teilweise von einem “AfD-Sieg”, von einer “blauen Welle”. In Essen sprach t-Online von “AfD-Sieg”. Und die Partei kam nicht mal in die Stichwahl. „Kommt die blaue Welle?“, wurde oft gefragt im Vorfeld.

Das Abschneiden der Rechtsextremen war in vielen Schlagzeilen der Fokus – die taz titelte immerhin “Kein Durchmarsch der AfD”.

Das Problem: Die AfD bläst ins gleiche Horn. Der AfD-Landeschef verkündet, die „Brandmauer auf kommunaler Ebene“ werde fallen. „Noch nicht das Ende der Fahnenstange“ und so weiter. Und unsere Medien? Die ZEIT packt seine Propaganda 1:1 in die Schlagzeile einer dpa-Meldung. Keine Einordnung, nichts. Medial ist die Brandmauer längst gefallen.

Das Framing macht ja was mit dem Denken: Die Moderatorin fragte Felix Banaszak beim rbb, ob die Grünen nach den Wahlen in NRW nun das Thema Migration mehr in den Fokus rücken. Er war empört. Weil mit dem Irrglauben, die AfD müsse immer stärker werden, auch der Irrglaube einhergeht, dass die Antwort wäre, ihre Themen und Forderungen zu kopieren. Dabei scheint genau das Gegenteil die Lösung zu sein: In Köln gab es das viel mit Fakes behaftete Anti-Rassismus-Versprechen. Und hat wohl gut funktioniert.
AfD verliert im Vergleich zur BTW, Grüne zweitbestes Ergebnis in NRW
Natürlich wäre dieser Titel, wie ich ihn hier gewählt hätte, hinkend. Aber er wäre auch nicht falsch. Die AfD hat weniger Zustimmung in NRW bekommen im Vergleich zur Bundestagswahl. In keinem Kreis und keiner kreisfreien Stadt ist die AfD vorne. Es ist immer noch das zweitbeste Ergebnis für die Grünen in NRW. Natürlich verschleiert das die aktuellen Entwicklungen – der starke Abfall der Grünen und der Anstieg der AfD im Vergleich zur letzten Kommunalwahl. Und natürlich ist das eine negative Entwicklung für unsere Demokratie. Aber: Die letzte Wahl war 2020 – als die AfD inmitten der Pandemie ihre geringsten Zustimmungswerte hatte seit 2017!
Hier geht es aber nicht darum, sich das Ergebnis schönzureden. Sondern zu verhindern, dass der Negativity-Bias der Medien die Arbeit für die Faschisten macht – und die Rechtsextremisten motiviert. Und die Demokraten jetzt schon kapitulieren lässt. Die AfD ist auf dem dritten Platz gelandet, einen Prozentpunkt vor den Grünen. Die Union holt 33 Prozent. Eine Union, die unter Wüst übrigens einen klaren Anti-Rechts-Kurs führt. In Bundesländern, wo die Union Rechtspopulismus nutzt, ist die AfD teilweise stärker als sie.
Die AfD wird stärker. Das ist ein Fakt. Und das ist ein Alarmsignal. Aber so wie darüber gesprochen wird, glauben viele, dass ein Siegeszug unausweichlich ist. Und das ist er nicht. Und ich möchte hier auf die andere Seite blicken. Kein Schönreden, sondern ein Realitätscheck. Denn Doomerism ist nicht gleich Realismus. Die AfD hat bisher noch nicht wirklich etwas gewonnen. Wir sollten nicht so tun, als wäre das der Fall.
Krachende Niederlagen für die AfD
Und es ist nicht nur NRW – auch in den ostdeutschen Ländern, wo die AfD viel stärker ist. Zwei Fälle erwähnte ich schon letzte Woche: In Wolmirstedt holte sie das Direktmandat mit knapp 40 %. Bei der Bürgermeisterwahl verlor der Rechtsextremist jedoch deutlich mit 36,2 Prozent gegen den parteilosen Mike Steffens, der 54,4 % holte. Gleiches in Meißen: Bei der Bundestagswahl wählten noch 40 % einen Rechtsextremisten, am Sonntag fiel der Neonazi Jurisch mit nur 30,4 % durch. Und das, obwohl die AfD massive Unterstützung von EU- und Bundesebene mobilisierte, weil sie verzweifelt die Erfolge braucht, die nicht manifestieren. Derartige Niederlagen sind häufiger, als du denkst. Sie passieren ja eigentlich immer. Aber wenn die AfD (schon wieder) nichts gewinnt, gibt es keine tagelangen Debatten darüber.
Und auch bei Bürgermeisterwahlen in Brandenburg gewann die AfD schon wieder nicht: In Nauen und in Wriezen setzten sie sich nicht durch, in Wriezen kam der von der AfD unterstützte Neonazi nicht mal in die Stichwahl mit nur 15 %. Auch im sächsischen Diehra-Zehren erlebte die AfD ein Wahl-Debakel und ging mit nur 10 % völlig unter.
Wenn die AfD (auch nur in Umfragen und auch nur relativ zu den anderen Parteien) vermeintlich stark ist, ist das sofort in allen Schlagzeilen. Nicht, wenn sie in Umfragen verliert. Was übrigens 2024 passierte, ist, was irgendwie kaum jemand mitbekommen hat. Von bis zu 23 Prozentpunkten stürzte sie als Folge der Giga-Demos gegen Rechts auf bis zu 15 % ab. Aber das sind doch gute Nachrichten, und die verkaufen sich nicht gut. Kein Wunder, dass die Leute demotiviert werden und die Politik die falschen Schlüsse zieht. Weil niemand mitbekommt, wenn etwas funktioniert.
Niemand will für die AfD antreten
Dass wie in Meißen oder Wriezen waschechte Neonazis für die AfD antreten, zeigt nicht nur, wie tief die AfD selbst im rechtsextremen Sumpf inzwischen steckt. Es zeigt auch, dass diese Partei unfähig ist, geeignete Kandidaten aufzustellen. Oder überhaupt Kandidaten.
Bei den Kommunalwahlen in NRW stellte sie in 77 % der Gemeinden keinen Bürgermeisterkandidaten, in knapp 40 % tritt sie gar nicht an. Ja, auch das trägt zu ihrer Schwäche bei. Das kaschiert aber nicht ihre Macht – es zeigt ihre Grenzen. Kaum jemand will für diese Partei antreten, und wenn man sie direkt wählen soll, verpufft die Größe der AfD. Sie hat ja auch keine Lösungen für irgendetwas. Sie interessiert sich nicht für Kommunalpolitik. Was bringt es Freiberg, wenn ihr Bürgermeister nichts kann außer den Klimawandel zu leugnen und zu spekulieren, wie viele Geschlechter es gibt? (Und was bringt es der CDU, wenn sie ihm in buchstäblich allen Punkten recht gibt?)
Sie kommt nur damit durch, auf die Unwissenheit, Uninformiertheit und Gleichgültigkeit vieler Wähler zu bauen, die diffus ihr Kreuz für Landtags- und Bundestagswahlen machen, und gar nicht wissen, wen sie eigentlich wählen. Oder wofür die Partei wirklich steht. DAS wiederum kommt medial viel zu kurz, weil sich zu wenige trauen, die Partei kritisch zu behandeln. Da gibt es freundliche Pläusche mit Rechtsextremisten im ZDF. Ein einziger Skandal in Potsdam hat die AfD fast halbiert, aber die ganzen Korruptions-, Spionage– und Rechtsextremismus-Skandale sickern viel zu wenig durch. Zwischen aufgebauschter Migrations-Panik und den Streitigkeiten dieser und der letzten Regierung wird die Wählerschaft derart desinformiert, dass sie kein realistisches Bild des Landes mehr hat.
Deepdive: Besonders AfD-Wähler leben in ihrer eigenen Realität
Die AfD ist ein Scheinriese
Und ich möchte mein Fazit von letzter Woche auch vor dem Hintergrund der Wahlergebnisse in NRW wiederholen. Die AfD ist ein Scheinriese. Die AfD wirkt größer und mächtiger, als sie tatsächlich ist. Hinter ihr steht ein Projekt, das zunächst gezielt Unzufriedenheit schürt, um daraus Profit für sehr wohlhabende Kreise zu ziehen, die diese Partei mit hohem finanziellen Einsatz in den Medien platzieren. Eine Medienbranche, die sich kaum aus dem Zwang von Klickzahlen und Auflagen befreien kann, übernimmt bereitwillig die rechten Verzerrungen, hält so den Mythos vom unaufhaltsamen Vormarsch der AfD am Leben und entmutigt ihre Gegner. Die ständige Rede von ihrer Unbesiegbarkeit ist Teil dieser Strategie. Fakten liefern die Rechten nicht – sie setzen darauf, ihre Behauptungen so oft zu wiederholen, dass sie entmutigen. Deshalb sollten wir – vor allem die Medien – diese Narrative nicht ständig aufgreifen, selbst nicht zum Widerlegen oder Spott.
Das heißt nicht, dass die AfD nicht irgendwann an die Macht kommen könnte. Dass sie nicht stärker geworden ist. Aber es heißt, dass sie stärker geworden ist, weil wir sie größer machen, als sie ist. Und es bedeutet, dass dies keineswegs unvermeidlich ist, wenn genügend Menschen die Verzerrungen durchschauen und mehr Journalistinnen und Journalisten diese Erkenntnis auch praktisch anwenden. Aber wenn „AfD wird immer stärker“ zu mehr AfD-stärkender Migrationspolitik führt, sollte man sich vielleicht lieber anschauen, was NRW besser macht – und daraus lernen.
Artikelbild: Karsten Leineke, shutterstock.com