Rundschau-Altenhilfe unterstützt: „Selbstbehauptungskurs“ soll älteren Menschen Sicherheit geben

Rundschau-Altenhilfe unterstützt: „Selbstbehauptungskurs“ soll älteren Menschen Sicherheit geben

Rundschau |

„Aufhören!“, brüllt Heidi Ruhrig. „Loslassen!“, „Hilfe!“, ruft die 80-Jährige weiter und streckt ihre Arme zur Abwehr aus. Aber niemand springt ihr zu Seite. Und sie erwartet das auch gar nicht. In einem „Selbstbehauptungskurs“ für Seniorinnen und Senioren will sie lernen, sich in der Öffentlichkeit sicherer zu fühlen. Laut werden, wenn Gefahr droht, heißt die aktuelle Lektion. So kommt es, dass 13 Kursteilnehmende im Kreis stehen und sich gleichzeitig mit starrem Blick anschreien. Mit ihrem geblümten Oberteil und einem breiten Lächeln strahlt Ruhrig eigentlich Wärme aus. Jetzt beweist sie, dass sie eiskalt sein kann, wenn’s sein muss. „Hände weg!“, schießt der kämpferische Chor als nächstes.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Selbstbehauptungskurs

Copyright: Thomas Banneyer

Das Kommando gibt Trainerin Catrin Wagner. Mit ihrem Kurs ist die Inhaberin der Firma „Millimetertraining“ heute im Gemeindezentrum der Rochuskirche in Köln-Ossendorf zu Besuch. Unter anderem durch die Unterstützung der Rundschau-Altenhilfe DIE GUTE TAT e.V. konnte das Seniorennetzwerk Ossendorf den Kurs für Teilnehmenden kostenlos buchen. „Ich bekomme gerade eine Gänsehaut“, sagt die 57-Jährige beeindruckt von der Stimmkraft ihres Kurses, der daraufhin stolz lacht. „Wir sind dazu erzogen, immer freundlich zu sein. Auf der Straße ist aber auch mal eine barsche Ansage gut“.

Die gelernte Diplom-Sportlehrerin trägt Jeans, Sneaker und Jackett. Sie wirkt nahbar, spricht auf Augenhöhe mit der Gruppe. Schnell hat sie das Vertrauen des Kurses: „Ich versuche abends nicht mehr allein rauszugehen und verzichte deshalb auf manches. Ich möchte selbstbewusster sein“, öffnet sich eine Teilnehmerin während der anfänglichen Vorstellungsrunde im Stuhlkreis. Ruhrig macht keine Abstriche, mit ihrem Rollator ist sie täglich unterwegs. Jetzt parkt er neben ihrem Stuhl. „Es sind auch so viele nette Menschen unterwegs“, gibt sie zu bedenken.

Teilnahme am öffentlichen Leben

„Ziel des Selbstbehauptungskurses ist es, dass Menschen auch im hohen Alter am öffentlichen Leben teilnehmen“, erklärt die Trainerin vor Kursbeginn. „Das Unsicherheitsempfinden von älteren Menschen ist allein durch ihre höhere Verletzlichkeit wesentlich stärker als vielleicht bei Menschen mittleren Alters. Viele haben wirklich Angst davor rauszugehen.“ Unsicherheiten gebe es in zahllosen Situationen außerhalb der eigenen vier Wände – egal, ob im Dunklen, im Bus oder am Bankautomaten. Die Angst vor Diebstahl oder Gewalt kann mitschwingen.

Panik verbreiten will sie nicht – im Gegenteil. „Mir ist wichtig nicht nur auf Gefahren und Defizite bei den älteren Menschen hinzuweisen, sondern den Blick auf ihre Stärken zu lenken. Diese Menschen haben so viel Lebenserfahrung und ein ausgeprägtes Bauchgefühl – das können sie nutzen“, erklärt Wagner.

Es geht weniger um körperliche Verteidigung, als um Aufmerksamkeit erregen und Hilfe holen.

Copyright: Thomas Banneyer

Karate und Faustschläge üben die Teilnehmenden nicht. „Die körperliche Verteidigung ist für dieses Alter eigentlich nicht das Mittel der Wahl. Allein ein Befreiungsgriff könnte sehr schmerzen. Es muss deshalb auf die Stimme, Aufmerksamkeit und das Hilfeholen zurückgegriffen werden.“ 65 aufwärts sei das Alter der Menschen, die zu Wagner kommen, die ältesten seien um die 90 gewesen. Den zweieinhalbstündigen Selbstbehauptungskurs hat sie gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, der Technischen Hochschule Köln und der Polizei erarbeitet. Seit er vor fast 10 Jahren entstand, sei er sehr gefragt.

„Die gute Nachricht ist, dass ältere Menschen statistisch gesehen weniger angegriffen werden als jüngere“, erklärt Wagner der Runde. Nur beim Trickdiebstahl seien sie öfter im Visier. „Wer von ihnen wurde schon mal auf der Straße bestohlen?“, fragt sie danach. Über die Hälfte meldet sich, die Erlebnisse sprudeln nur so aus den Teilnehmenden heraus. Ruhrig ist es beim Stöbern im Laden passiert. Zwei Männer kamen zu ihr, stellten sich links und recht eng neben sie. Dann begann ein Fragenhagel. Als er aufhörte und die Männer verschwanden, war mit ihnen auch das Portemonnaie der Frau weg. Betroffen nicken die anderen Teilnehmer der Runde.

Teilnehmerin Heidi Ruhrig und ihre Mitstreiterin üben sich laut bemerkbar zu machen, wenn ihnen jemand zu nah kommt.

Copyright: Lia Gasch

Der „Antanztrick“, bei dem Täterinnen und Täter eng an ihr Ziel herankommen, um es dann mittels Ablenkungsmanöver zu bestehlen, sei weit verbreitet, erklärt Wagner. Fremde auf Abstand zu halten, sei ein erstes Mittel dagegen. Das Bauchgefühl könne gut entscheiden, was zu nah ist. Und das sollen die Teilnehmenden jetzt testen: Gegenseitig rücken sie sich auf die Pelle und sagen einander klar und deutlich, wo die Grenze ist. Mit aufrechtem Blick und festem Stand versteht sich.

„Ich habe nun mal so viel Vertrauen den Menschen gegenüber“, meldet sich ein Herr zu Wort. Er zücke in der Stadt gerne sein Portemonnaie, um etwas zu spenden. Obwohl ihm dabei schonmal Hunderte Euro gestohlen wurden, als er am Bahnsteig einem Mann Geld wechselte. „Ihr Vertrauen sollen sie sich auch nicht abtrainieren“, betont die Trainerin. „Ich bin auch kein Fan davon überkritisch zu sein.“ Ihr Tipp: Sich vor dem Einkauf schon ein paar Münzen in die Tasche stecken. So bleibt das Portemonnaie sicher.

Falls doch etwas passiert: Die Hilfsbereitschaft unter den Leuten ist groß, da ist sich die Gruppe einig. Ein viel größeres Problem ist es für einige hingegen, überhaupt erst nach Hilfe zu fragen. „In ihrer Generation haben sie oft gelernt, dass man die Dinge allein schaffen muss“, sagt Wagner verständnisvoll. Wegen ihrer Arthrose in den Fingern kämpfte eine Teilnehmerin am Flughafen stundenlang mit einer störrischen Wasserflasche und einer trockenen Kehle. Mittlerweile frage sie ohne Umschweife nach Hilfe. „Eine Ablehnung habe ich noch nie bekommen“, freut sie sich.

Das Vertrauen, auch Ruhrig hat es nie verloren. Ihr verstorbener Mann ist ein wichtiger Grund dafür, wie sie nach dem Kurs erzählt. „Wir waren sehr locker und sind immer auf Menschen zugegangen. Ich denke, dass er da oben ist und mir noch zuhört. Dann sage ich immer: „Helmut, ich mache so weiter“, erklärt die Seniorin lächelnd, bevor sie aufsteht und sich ihren Rollator schnappt. „Es tut mir gut und ich versuche, andere Menschen mitzureißen.“

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