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Die einstigen Ampel-Partner gehen mit neuen harten Schuldzuweisungen für den Bruch ihrer Koalition in den Bundestagswahlkampf. Führende Politiker von SPD und Grünen reagierten empört auf Berichte, wonach die FDP-Spitze bereits seit Ende September ein Ende des Regierungsbündnisses in mehreren Strategietreffen vorbereitet haben soll. Die FDP bekräftigte ihr Drängen auf einen anderen Wirtschaftskurs auch mit Blick auf die Neuwahl am 23. Februar und konterte mit Vorhaltungen gegen Kanzler Olaf Scholz (SPD).
«Drehbuch» für Ende der Koalition?
Vor allem zwischen SPD und FDP tobt ein harter Kampf um die Deutungshoheit, inwiefern das Zerwürfnis von einer Seite provoziert worden ist. So sprach der geschasste Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner von einer «Entlassungsinszenierung».
Laut Recherchen von «Zeit» und «Süddeutscher Zeitung» soll sich indes die FDP schon Wochen vor dem Ampel-Aus am 6. November fundiert auf ein Ende der Koalition vorbereitet haben. Die Rede ist von einem «Drehbuch für den Regierungssturz», wie es die «Zeit» formulierte.
In mehreren Treffen der engsten FDP-Führung seien seit Ende September verschiedene Szenarien durchgespielt worden, wobei die teils kontroversen Beratungen auf ein Szenario zum Ausstieg aus der Koalition hinausgelaufen seien. Entwickelt worden sei dafür auch die Idee eines wirtschaftspolitischen Konzepts, das innerhalb der Regierung nicht einigungsfähig sei, berichtete die «Zeit». Durchgespielt worden sei auch ein Zeitplan für einen Rückzug der FDP-Minister aus dem Kabinett.
FDP: «Immer wieder Szenarien erwogen»
Die FDP erklärte auf Anfrage, seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von November 2023, das den Nachtragshaushalt 2021 der Koalition gekippt hatte, habe «immer wieder und in verschiedenen Runden eine Bewertung der Regierungsbeteiligung» stattgefunden. «Selbstverständlich wurden immer wieder Szenarien erwogen und Stimmungsbilder eingeholt», sagte ein Parteisprecher.
Am Ende habe es zwei Optionen gegeben, die Lindner dem Kanzler am 3. November in einem Gespräch vorgeschlagen habe: «Eine Einigung auf eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik oder die geordnete Beendigung der Koalition durch den gemeinsamen Weg zu Neuwahlen. Das Ergebnis ist bekannt.»
Im Koalitionsausschuss am 6. November kam es zum Bruch, Scholz entließ Lindner als Minister. Die Regierungskrise hatte sich zuvor zugespitzt, nachdem am 1. November ein Grundsatzpapier Lindners mit Forderungen nach einer «Wirtschaftswende» publik geworden war, das bei SPD und Grünen auf Ablehnung stieß.
Harsche Reaktionen bei SPD und Grünen
SPD und Grüne attackierten die FDP nach den Berichten scharf. SPD-Chef Lars Klingbeil sprach von einem «unwürdigen Schauspiel» und betonte: «Ich bin froh, dass die keine Verantwortung mehr tragen für dieses Land.» Zu Vorwürfen, Scholz habe den Rauswurf Lindners gezielt herbeigeführt, sagte Klingbeil: «Wir wussten ja, dass die FDP plant, aus der Regierung auszusteigen. Aber ich kann Ihnen sagen, als jemand, der dabei war: Der Bundeskanzler hat bis zuletzt gerungen, eine Lösung hinzubekommen.»
Zur Vorgeschichte der Ampel-Krise äußerte sich auch der Kanzler. Womöglich hätte er die Entscheidung zur Entlassung Lindners früher treffen müssen, sagte er der «Süddeutschen Zeitung»: «Es ist kein Geheimnis, dass ich darüber auch schon einmal vorher nachgedacht habe, als es im Sommer trotz der vielen Stunden, die wir zusammen verbrachten, einfach nicht gelingen wollte, sich auf den Bundeshaushalt für 2025 zu einigen.»
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Jeder künftige Koalitionspartner müsste sich dreimal überlegen, ob er mit dieser FDP koalieren möchte.» Die Grünen erwarteten in Zukunft Verlässlichkeit als Voraussetzung für jede neue Koalition. In vielen Verhandlungen zu Gesetzesvorhaben sei es mit der FDP zum Schluss sehr langsam bis gar nicht mehr vorangegangen «und an ganz vielen Stellen wirkten die Argumente so, dass man eigentlich dachte, es geht hier nur noch ums Blockieren».
Lindner: «Es ist Wahlkampf»
FDP-Chef Christian Lindner kommentierte die Berichte mit den Worten: «Es ist Wahlkampf.» Selbstverständlich hätte die FDP ohne Wirtschaftswende die Koalition verlassen müssen. Deshalb habe er Scholz einen gemeinsamen, geordneten Weg zu Neuwahlen vorgeschlagen.
Fraktionschef Christian Dürr sagte der «Neuen Westfälischen»: «Mittlerweile wissen wir, dass sich alle Koalitionspartner Gedanken über die Zukunft der Koalition gemacht haben. Der Fokus lag für uns immer darauf, eine Wirtschaftswende für unser Land zu erreichen.»
FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte der «Bild»-Zeitung, die Sozialdemokraten hätten seit Juli das Ampel-Aus vorbereitet. Die Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann nannte es «logisch, dass die FDP-Spitze alle Szenarien professionell skizziert hat».
Klingbeil für Fairness-Abkommen
SPD-Chef Klingbeil sprach sich dafür aus, für den Bundestagswahlkampf erneut zu einer Art Fairness-Abkommen zu kommen. «Das sollten wir jetzt wieder zwischen den Parteien verabreden», sagte er dem «Handelsblatt». «Eine solche Verabredung sollte auch beinhalten, dass wir Künstliche Intelligenz nicht einsetzen, um politische Konkurrenten zu diskriminieren.» dpa/ikn